Musste das Unterhaus für den Brexit stimmen?
Das britische Unterhaus hat am Mittwoch dem Brexit-Gesetz der Regierung in letzter Lesung ohne Änderungen zugestimmt. Obwohl die meisten Parlamentarier den Brexit ablehnen, stimmten 494 für und nur 122 gegen das Gesetz. Für die einen ist das eine gravierende Fehlentscheidung, für die anderen die logische Konsequenz aus dem Referendum.
Der größte Fehler der Nachkriegszeit
Mit ihrem Votum für Mays Brexit-Gesetz und gegen die eigene Überzeugung, haben die Abgeordneten die Macht des Parlaments untergraben, kritisiert der Guardian:
„Konfrontiert mit einer Gesetzesvorlage, die den britischen Rückzug aus der EU vorsieht, haben sich die Abgeordneten dafür entschieden, dass das Referendum des letzten Jahres unumstößlich ist und sie machtlos sind, den Fuß aufs Bremspedal zu setzen oder einen anderen Weg einzuschlagen. Das ist die gravierendste Fehlentscheidung, die das Parlament in der Nachkriegszeit getroffen hat. ... Großbritannien sollte Teil Europas sein. Das hat sich nicht geändert. ... Zwei Drittel der Abgeordneten glauben, dass der Brexit der falsche Weg ist. Aber wie die Abstimmung vom Mittwochabend zeigt, fühlen sich viele verpflichtet, ein Gesetz zu unterstützen, vom dem sie - unserer Ansicht nach zu Recht - glauben, dass es Großbritannien schaden wird.“
Zustimmung ist logisch und demokratisch
Erfreut über die Entscheidung zeigt sich der Daily Telegraph:
„Nachdem das Parlament das Referendum ursprünglich gebilligt hatte, wäre es nun undemokratisch gewesen, den Wünschen der Wähler zu widersprechen, denen die Parlamentarier die Entscheidung übertragen haben. Diese Logik ist auch den meisten Vertretern des Remain-Lagers im Parlament nicht entgangen. Sie akzeptieren, dass es mit dem Brexit voran gehen muss. ... Das Gesetz geht nun in das House of Lords, wo zum ersten Mal in der Geschichte eine konservative Regierung keine Mehrheit genießt. Es ist möglich, dass eine Koalition aus mehr als 250 Liberalen und Labour-Anhängern mit Rückhalt von Unabhängigen die Gesetzgebung blockieren oder behindern können. Aber jetzt, wo die Wünsche des Unterhauses klar zum Ausdruck gebracht wurden, dürfen sich die Lords nicht gegen dieses Gesetz stellen.“
Nun hat der Brexit die volle Legitimität
Alles andere als die jetzige Entscheidung des Unterhauses hätte verwundert, notiert Lidové noviny:
„Eine Zurückweisung des Ergebnisses des Referendums aus dem vergangenen Jahr wäre Grund für eine Revolution gewesen. Doch da die Briten ihre Revolutionsquote schon im 17. Jahrhundert erfüllt haben, hat niemand mit einem Nein gerechnet. ... Der Brexit bekommt nun die volle Legitimität. Nun kann niemand mehr behaupten, die Entscheidung, die EU zu verlassen, sei manipuliert oder von irgendeiner ideologischen Sabotageeinheit beeinflusst worden. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass der Brexit nicht nur von den Wählern in besagtem Referendum befürwortet wurde, sondern auch von den gewählten Abgeordneten im Unterhaus - wenn man so will, von der politischen Elite.“
Opposition demontiert sich selbst
Die Opposition hat in der Brexit-Debatte im Unterhaus ihre Unfähigkeit auf ganzer Linie offenbart, kritisiert Der Standard:
„Grüne und Liberaldemokraten sind zu schwach, und die Nationalisten haben nichts anderes als Schottlands Unabhängigkeit im Programm. Und Labour präsentiert sich unter Jeremy Corbyn uneinig und unentschlossen. Der Parteichef verhängt einen Fraktionszwang, Sanktionen gegen Abweichler aber bleiben aus. Sein unerfahrener Brexit-Sprecher geht den mit allen Wassern gewaschenen Tories auf den Leim. ... Ein Mitglied des Schattenkabinetts rät allen Ernstes dazu, die Fraktion auf eine Enthaltung festzulegen - und dies bei der politisch wichtigsten Frage des Jahrzehnts. Viele Labour-Stammwähler aus der Arbeiterschicht stimmten für den Brexit, die mehrheitlich städtischen Wahlkreise wollten aber in der EU bleiben. Der Spagat wäre für jeden schwierig - Corbyn und sein Team aber machen Labour durch ihre Inkompetenz unwählbar.“
Unterhaus wird keine Ruhe geben
Die Zustimmung im Unterhaus bedeutet keineswegs, dass sich das Parlament aus den Brexit-Verhandlungen raushalten wird, erwartet der Tages-Anzeiger:
„Da das Parlament nun um seine Souveränität weiss, kann es jederzeit neue Beschlüsse fassen – wenn es will, wenn es das für nötig hält. Vor allem aber wird es nun darum gehen, die Bedingungen abzuklären, unter denen Grossbritannien aus der EU ausscheiden soll. Nach ihrer generellen Zustimmung zum Brexit wollen sich viele Tories und die meisten Labour-Leute jetzt zusammen mit den Rebellen gegen einen 'harten Brexit' wehren. Ihre Referendumspflicht und Schuldigkeit glauben sie getan zu haben. Jetzt fühlen sie sich frei, den Verhandlungskurs mitzubestimmen. Darum wird der nächste Konflikt zwischen Exekutive und Legislative gehen.“
Briten werden ganz allein dastehen
De Morgen weint Theresa May und Großbritannien nach der Unterhaus-Abstimmung keine Träne nach:
„Ist es nicht so, dass unsere Interessen am besten in einem einmütigen und solidarischen europäischen Block verteidigt werden können? ... Größe ist oft und gerade beim Handel besser. Das werden die Briten auch noch erleben. Die Unterwürfigkeit, mit der Premier Theresa May sofort auf den Schoss des neuen amerikanischen Präsidenten kroch, und die feige Art und Weise, wie sie seither nichtssagend über Donald Trumps Kapriolen spricht, beweisen, dass die britische Regierung inzwischen sehr gut weiß, dass sie alleine da steht. Wir wünschen ihr viel Erfolg dabei, mit einem protektionistischen Nationalisten einen Deal auszuhandeln, der vorteilhafter ist, als das, was die EU zu bieten hat. “