Was würde sich mit Macron verändern?
Emmanuel Macron geht am Sonntag als Favorit in die Stichwahl ums französische Präsidentenamt. Der Kandidat der Bewegung En Marche! erzielte in den letzten Umfragen einen Vorsprung von 20 Prozentpunkten gegenüber seiner Kontrahentin, Front-National-Chefin Marine Le Pen. Die Bedeutung der Wahl geht weit über Frankreich und die nächsten fünf Jahre hinaus, meinen Kommentatoren.
Frankreich demokratischer machen
Der Politologe Patrick Weil betont, dass die eigentliche Macht beim Parlament liegt. Er fordert die linken und sozialistischen Wähler in Le Monde auf, für Macron zu stimmen und anschließend auf parlamentarischem Weg für ihre Ziele zu kämpfen:
„Indem Sie sich zusammenschließen und versuchen, für Ihr Lager und Ihre Vorstellungen eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu erhalten, werden Sie eine neue und demokratischere Lesart der Fünften Republik bewirken. … Emmanuel Macron wird der Republik vorstehen, aber er wird Frankreich nicht regieren; diese Rolle kommt der Regierung zu, die aus der Mehrheit in der Nationalversammlung hervorgeht. ... Die Macht in unserem Land verlagert sich somit wieder auf das Parlament, in dem alle Parteien vertreten sein werden. Dadurch wird sie ausgeglichener, bürgernäher, sensibler für die Meinungsvielfalt und kollektiver. ... Die auf den Präsidenten ausgerichtete Lesart der Fünften Republik, von der die meisten Franzosen nichts mehr wissen wollen, wird dann der Vergangenheit angehören.“
Wahl wird Europa schaden
Unabhängig von ihrem Ausgang wird die französische Wahl Europa deutlich schaden, meint hingegen der portugiesische Diplomat Francisco Seixas da Costa in Jornal de Negócios:
„Sollte Marine Le Pen in den Elysée-Palast einziehen, was ich nicht hoffe, würde dies das europäische Projekt enorm belasten und sogar destabilisieren. Sollte Macron das Rennen machen, was wahrscheinlicher erscheint, wird er immer als ein Präsident gelten, der nur 'by default' gewonnen hat. ... Wie auch immer die Wahl ausgeht, ist es wichtig, die Parlamentswahl im Juni abzuwarten - denn daran wird sich die Regierbarkeit des nächsten Präsidenten messen lassen. ... Was bereits jetzt klar zu sein scheint ist, dass Frankreich ab Montag sehr anders sein wird. Eine weitere schlechte Nachricht ist, dass das höchstwahrscheinlich auch für Europa gilt - im negativen Sinne.“
Macrons Sieg beseitigt Grundkonflikt nicht
Vor zu viel Freude nach einem Sieg Macrons sollte man sich hüten, warnt auch der Tagesspiegel:
„Für den Grundkonflikt, in dem sich Europa und der Westen insgesamt befinden - hier eine gebildete, digital affine, mobile, globalisierungsoffene, gut verdienende Schicht, dort das Gefühl von Überfremdung, das Verlangen nach traditioneller Zugehörigkeit, die Rückkehr des Nationalismus -, hat noch niemand eine Lösung parat. Gewarnt sei daher vor liberalem Triumphalismus nach einem möglichen Wahlsieg Macrons. Den würde die unterlegene Seite als weiteren demütigenden Akt elitärer Arroganz empfinden, der die gesellschaftliche Spaltung vertieft. Außerdem wäre er in der Sache unangebracht. Die liberalen Werte bleiben bedroht. Weder Macron noch Merkel können die Erlöser aus der Malaise sein.“
Spätestens 2022 kann Le Pen sich freuen
Auch nach einem Wahlsieg wird es Macron schwer haben, seine Politik durchzusetzen, prophezeit Berlingske:
„Er hat unter den Franzosen keine Mehrheit für seine ökonomischen Reformen oder seine liberale Wertepolitik. Das wird ihn sehr schnell zu einem sehr unpopulären Präsidenten machen. Dazu kommt, dass er nach der kommenden Parlamentswahl nicht mit einer Parlamentsmehrheit rechnen kann. Deshalb wird es ihm schwerfallen, seine Politik durchzusetzen. Selbst wenn Macron gewinnt, hat er den Kampf um seine Politik schon verloren. Sein wirtschaftlicher und sein wertepolitischer Kurs werden zu noch größerer Frustration bei den Franzosen führen. Die sozialkonservative Position wird unter seiner Führung gestärkt. Nahezu unausweichlich wird Macron die nächste Präsidentenwahl 2022 gegen Marine Le Pen oder einen anderen sozialkonservativen Kandidaten verlieren.“
Macron gefährdet die europäische Zivilisation
Macron sollte wegen seiner liberalen Einwanderungspolitik hinter Gittern landen, fordert der rechtsnationale Publizist Zsolt Bayer in seinem Blog Bádog:
„Sie und Ihre Gesinnungsgenossen, Herr Macron, werden die letzten sein, die noch ein 'französisches' Leben in Ihrer Heimat leben können, Ihre Kinder dagegen (wobei Sie natürlich keine haben) werden in Frankreich kein französisches Leben mehr leben. Und das ist Ihr Verbrechen. Ein entsetzliches, schreckliches Verbrechen, das niemals verjähren wird. Ein Verbrechen gegen die Menschheit, gegen die europäische Zivilisation und gegen die europäischen Nationen. Wollen sie überleben, täten die europäischen Nationen gut daran, Sie und Ihre Gesinnungsgenossen aus dem Verkehr zu ziehen. Sie können dann in Ihrer Zelle in Ruhe über die offene Gesellschaft und die wirtschaftlichen Segnungen der Einwanderung sinnieren. Wir dagegen werden hier draußen eine 'altmodische' europäische Zivilisation errichten.“
Aggressivität gegen Argumente
Macron konnte seine Position als Favorit der zweiten Runde in der TV-Debatte ausbauen, resümiert De Telegraaf:
„Die große Frage war, wie Le Pen sich bei den Wirtschaftsthemen schlagen würde. Sie brachte kaum Vorschläge, während Macron genau erklärte, wie er das Wachstum stimulieren will. ... Im Kapitel 'radikaler Islam' fühlte sich Le Pen heimischer. ... Doch trotz der hohen Terrorgefahr in Frankreich und der Anschläge der letzten Jahre sind vielen Franzosen die wirtschaftlichen Probleme wichtiger. Macron war der deutliche Sieger. Er kämpfte mit inhaltlichen Argumenten, während Le Pen vor allem aggressiv war und sich verrannte in Aussagen wie 'Ach, wollen Sie uns nun Angst machen?'. Dieses Duell wird die Umfragen, die bereits seit Tagen bei 60 Prozent für Macron und 40 Prozent für Le Pen liegen, nur stabilisieren.“
In jeder Hinsicht zweite Liga
Marine Le Pens grobe Angriffe auf ihren Gegner haben deutlich gemacht, dass sie mit Macron nicht auf Augenhöhe ist, analysiert Libération:
„Lässt man die Risiken beiseite, die ihr Projekt birgt, und die Diskriminierungen, mit denen sie alle nicht von hier Stammenden drangsalieren will, und betrachtet man allein die Kompetenzen in den verschiedenen Politikbereichen, die Glaubwürdigkeit der Finanzierungsmodelle, die Durchdachtheit der Vorschläge, kurzum: die Qualität der Argumente, dann spielt Marine Le Pen in der zweiten Liga. Es gibt einiges auszusetzen an Emmanuel Macrons Vorhaben, an deren Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit, an den negativen Effekten, zu denen sie führen können. Doch nicht so! Nicht mit schweren Geschossen, die nach dem Zufallsprinzip immer die gleiche Kanone abfeuern. Nicht auf so grobe Weise, dass die Debatte ausgeblendet wird. Und nicht mit persönlichen Anspielungen, die die alte Rhetorik der 1930er Jahre wieder aufleben lassen.“
Mit dem Frexit kann Front National nicht punkten
Mit den Wahlkampfthemen Frexit und Euro-Austritt verprellt Le Pen ihre Wählerschaft, beobachtet Corriere del Ticino:
„Was die EU und den Euro angeht, verschreckt Marine Le Pen nicht diejenigen, denen es gut geht, nicht die Elite oder das sogenannte Establishment. Sondern all diejenigen, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, und vor allem die Mittelschicht. Entgleisungen, partielle Kurskorrekturen, improvisierte Thesen und fehlende Abstimmung der verschiedenen Vertreter des Front National untereinander bezüglich der Aufgabe des Euro und der Rückkehr zum Franc haben nichts anderes bewirkt, als eben genau diese Ängste noch weiter zu schüren. Die Mehrheit der Franzosen ist gegen den EU-Austritt, sie will noch nicht mal den Austritt aus der Währungsunion, denn die Folgen wären so gut wie unüberwindbare praktische Probleme.“
Was hilft gegen Lügner wie Le Pen?
Mediale Aufregung über das Verhalten Marine Le Pens hat ihr in der Vergangenheit immer geholfen, warnt hingegen der Tages-Anzeiger nach dem TV-Duell der Front-National-Kandidatin gegen Macron:
„Bekanntlich plagiiert diese nicht nur, sie lügt auch, und je grösser die Aufregung darüber ist, desto stärker kommt ihr das entgegen. Kurz vor dem ersten Wahlgang behauptete die rechtsnationale Kandidatin, der französische Staat trage 'keine Mitschuld' an der Deportation von Juden in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Der Skandal war perfekt getimt. 'Lügen gelten heute als Meinungen', sagte die jüdische Historikerin Deborah Lipstadt ... Die Amerikanerin hatte 1996 einen Verleumdungsprozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving gewonnen. Sie wäre wohl ebenso erfolgreich gegen Marine Le Pen gewesen. Aber es hätte Le Pen garantiert genützt. Wie kommt man gegen solche Leute an?“