Hoffnungsträger Emmanuel Macron
Nach dem klaren Wahlsieg Emmanuel Macrons über Marine Le Pen dominiert in Europas Presse die Erleichterung – in die sich allerdings Zweifel mischen angesichts der immensen Aufgaben, die auf Frankreichs neuen Präsidenten warten. Kann Macron die Erwartungen erfüllen? Und hat er das richtige Rezept, um dringende Reformen endlich durchzusetzen?
Mit voller Kraft voraus!
Welche Hoffnungen der Wahlsieg des Begründers von En Marche! in Frankreich geweckt hat, illustriert Le Point:
„Obwohl die Franzosen ihn aus Mangel an Alternativen gewählt haben, setzen sie nun echte Hoffnung in ihn: Sie hoffen, dass er die Republik von alten, zermürbenden Gepflogenheiten und lähmendem Ballast befreit, sie also reformiert und erneuert. Um dieses Versprechen zu halten, braucht der neue Präsident Mut, Autorität und Vorstellungskraft: Er braucht den Mut, unsere Tabus anzugehen, die Autorität, viele Politiker heimzuschicken und sie durch neue Köpfe zu ersetzen und die Vorstellungskraft, ein Frankreich zu entwerfen, das im 21. Jahrhundert groß sein kann. Die Wahl Emmanuel Macrons lässt einen starken optimistischen Wind durch das Land wehen. Der neue Kapitän braucht nur das richtige Ziel festzulegen und es im Auge zu behalten. Auf geht’s!“
Ein Etappensieg der Europafreunde
In seiner Dankesrede nach der Wahl hat Emmanuel Macron den Wählern von Marine Le Pen versprochen, in seiner Amtszeit alle Ursachen abzuschaffen, die Bürger die extreme Rechte wählen lassen. Das kann zweierlei bedeuten, erklärt Večer:
„Entweder er folgt dem Beispiel Österreichs und integriert in seine Politik mehr oder weniger raffiniert die Forderungen der Rechten. Oder er spricht erfolgreich die Ängste der Franzosen an, die Marine Le Pen ausgenutzt hat, und vertreibt sie durch eine Politik der Zusammenarbeit und des Verbindens. Auch in der Europäischen Union. Macrons Sieg ist nur ein Etappensieg, es ist ein Etappensieg aller Europhiler. Viel hängt für Macron bereits von den Wahlen zur Nationalversammlung ab. Er wird sich erst noch beweisen müssen.“
Kompromisse statt Revolution
Macrons Politik wird weniger revolutionär als viele denken, prophezeit Corriere del Ticino:
„En Marche! wird in die Nationalversammlung Politik-Neulinge schicken, die trotz guten Willens der Lage nicht immer gewachsen sein werden. Das hat man in Italien mit den Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung erlebt, denen [ihr Parteichef] Grillo an einem gewissen Punkt verbot, an öffentlichen Debatten teilzunehmen. ... Um zügig den Weg der Reformen einzuschlagen, ist eine gut vorbereitete Mannschaft derweil unabdingbar. Bald wird der neue Bewohner des Élysée-Palasts gezwungen sein, seine Karten zu zeigen. Er muss den neuen Premier und seine Regierungsmannschaft vorstellen. Hier wird sich herausstellen, wie glaubwürdig die 'Revolution Macron' ist. Im Parlament hingegen, wo die Bewegung En Mache! schwerlich eine Mehrheit erzielen wird, werden die Macron-Anhänger zeigen müssen, dass sie die Kunst des Kompromisses gut beherrschen. Macron wird weniger die Politik neu erfinden, als vielmehr die Altlasten seiner Vorgänger so gut es geht aufarbeiten müssen.“
Präsident könnte wie Renzi enden
Macron wird die in Frankreich nötigen Reformen kaum durchsetzen können, glaubt der Historiker Timothy Garton Ash in The Guardian:
„Der gewählte Präsident hat keine etablierte Partei hinter sich. Daher ist es völlig unklar, welche Mehrheitsverhältnisse es nach der Parlamentswahl im kommenden Monat geben wird. Macron wird bereits als 'Renzi 2.0' beschrieben - ein Verweis auf den früheren italienischen Ex-Premier und Möchtegern-Reformer Matteo Renzi. Macron hat sich das unglaublich ehrgeizige Ziel gesetzt, die Staatsausgaben von 56 Prozent auf - halten Sie sich fest! - 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Die Hürden auf dem Weg zu Reformen in Frankreich sind riesig, von den mächtigen Gewerkschaften über einen aufgeblähten staatlichen Sektor bis zu den Bauern, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, Straßen mit Traktoren zu blockieren. Wenn es Macron nicht gelingt, Frankreich zu reformieren, könnten wir 2022 doch noch eine Präsidentin Le Pen bekommen.“
Populismuswelle ist gestoppt
Macrons Wahlsieg ist ein wichtiger Sieg gegen den Populismus, schreibt Respekt:
„Sein Sieg stoppt (definitiv?) die Welle des Populismus, die im vergangenen Sommer auf den britischen Inseln begann, sich mit der Wahl Donald Trumps fortsetzte und die nach diesen Wahlen das zweitgrößte Land der EU hätte hinwegspülen können. Die liberale Demokratie auf dem Kontinent hing am seidenen Faden. ... Macron bot in seiner Wahlkampagne eine Veränderung an, eine neue Hoffnung und einen dicken Strich unter 40 Jahre, in denen sich alle möglichen Regierungen erfolglos um die Modernisierung der französischen Wirtschaft bemüht hatten. Macron will systemtreu bleiben, will die liberale Demokratie, die Marktwirtschaft und die internationalen Institutionen als Rückgrat des Westens nicht zerstören. Dass er gegen den Umzug von Firmen ins billigere Osteuropa ist, betrifft auch uns. Aber jetzt ist erst einmal wichtig, dass die Debatte über all das den Regeln folgt, die den Westen seit Jahren erfolgreich zusammenhalten.“
Gesiegt, doch noch nicht gewonnen
Noch hat Frankreichs neuer Präsident nicht gewonnen, gibt der Der Standard zu Bedenken:
„Wieder einmal hat sich bewahrheitet, dass die Franzosen im ersten Wahlgang mit dem Herzen und im zweiten mit dem Kopf wählen. Es war ein Sieg der Vernunft. Viele haben Macron vor allem deswegen gewählt, weil sie die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen nicht im Präsidentenpalast sehen wollten. Aber die vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung und viele Weißwähler zeigen, dass sich ein beträchtlicher Teil nicht zwischen den beiden entscheiden wollte. ... Zuerst muss jedoch geklärt werden, ob Macron überhaupt regieren kann, so wie er sich das vorstellt. Ob er seine politischen Vorstellungen durchbringen kann oder als einsamer Rufer im Élysée enden wird, wird sich erst [bei der Parlamentswahl] im Juni entscheiden. Macron hat zwar einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl gewonnen, aber sein Kampf beginnt erst.“
Ein vermeintlicher Erfolg
Die Franzosen wollten neuen Wind in die Politik bringen aber Risiken vermeiden, doch einen starken Präsidenten bekommen sie auf diese Weise nicht, meint Le Figaro:
„Eine Frage stellt sich zu Beginn seiner fünfjährigen Amtszeit: Wofür steht Emmanuel Macron eigentlich? Was wollten die Franzosen damit ausdrücken, dass sie ihn zum Präsidenten gemacht haben? Sie wollten neue Gesichter in der Politik. Dieser Präsident, der noch keine 40 ist, verkörpert die "Weg mit euch!"-Einstellung, wie sie Jean-Luc Mélenchon diagnostiziert hatte. Die Franzosen wollten nun diese Einstellung umsetzen, ohne sich in das Abenteuer zu stürzen, das Mélenchon oder Le Pen bedeutet hätten. ... Diejenigen, die erst im zweiten Wahlgang für Macron gestimmt haben, sahen darin vor allem die Möglichkeit, einen Sieg Le Pens zu verhindern. Das alles bedeutet, dass der Macronismus leer ist. Und dass sein Sieg ein Sieg 'by default' ist.“
Keine Mehrheit für ein offenes Frankreich
Dass Macron die traditionelle Spaltung zwischen Rechts und Links durchbrochen hat, könnte ihm zum Verhängnis werden, prophezeit Zeit Online:
„Macron steht für das offene Frankreich. Aber er ist damit in der Minderheit. Für einen Präsidenten eine denkbar schlechte Position. Mehr als 50 Prozent der Franzosen haben im ersten Wahlgang eine protektionistische Wirtschaftspolitik gewählt. Und deutlich mehr als 50 Prozent haben national-souveränistische Politiker gewählt. Macron, der Europatriot und Deregulierer, bekam für sein Programm nur 23 Prozent der Stimmen. ... Ein guter Präsident aber wird er kaum sein können. Denn an dem Spalt, an dem Macron ansetzte, teilt sich auch die französische Gesellschaft. Jetzt ist die fast schon karikatureske Hassfigur der einen Seite Präsident. Macron, der Banker, der Ex-Minister, der Elitehochschulabsolvent. Es gibt in der französischen Gesellschaft keine Mehrheit für die Position der Offenheit. Das wird ihm in wichtigen Bereichen absehbar große Probleme bereiten. “
Jetzt feiern die Banker
Nicht die Verfechter der Demokratie, sondern vor allem die Banker haben jetzt einen Grund zum Feiern, findet der Blogger Pitsirikos:
„Der Sieg Macrons öffnet den Weg auch für andere europäische Banker zur Eroberung der Macht. … Manche feiern den Sieg Macrons und bezeichnen es als Sieg der Demokratie, dass nun ein Rothschild-Banker Präsident Frankreichs geworden ist. Demokratie ist also, wenn man zwischen einem Bankier und einem Rechtsextremen wählen muss. Das ist nicht Demokratie, das ist der Tod. Gleichzeitig sind sie so dumm und sehen nicht, dass Macron den Weg für Le Pens Präsidentschaft öffnet. ... Macron bringt nicht die Hoffnung, wie er behauptet, sondern den Faschismus. Die neoliberale Politik, die die Europäische Union vollkommen dominiert, öffnet den Weg für die Faschisten. Und einige feiern dies als Sieg der Demokratie. Ein glückliches 1936!“
Wahl zeigt politische Zerrissenheit
Evenimentul Zilei hält Macrons Sieg für problematisch:
„Die Zahl der Enthaltungen lag im zweiten Wahlgang sehr hoch, zwischen 25 und 27 Prozent. ... Eine solche Teilnahmslosigkeit gab es in Frankreich seit 1969 nicht mehr. ... Damals lag sie bei 31,15 Prozent. Genauso wie damals gab es im zweiten Wahlgang mehr Enthaltungen als im ersten. Auch die sogenannten weißen Stimmzettel spielen eine Rolle, mit denen keiner der beiden Kandidaten gewählt wurde. Die Zahl dieser weißen Stimmzettel lag laut Prognosen bei 12 Prozent - ein Rekord. Bei den Wahlen von 1969 blieben nur 6,42 Prozent der Stimmzettel weiß, 2012 waren es 5,82 Prozent. Im Jahr 1969 aber waren beide Kandidaten aus dem Mitte-Rechts-Lager. Diese Wahl dagegen zeigt mit der hohen Zahl der Enthaltungen eine ernstzunehmende politische Zerrissenheit. Sie verdeutlicht, dass Macron nur deshalb so leicht gewonnen hat, weil er keinen vom Volk geliebten Gegner hatte. Die Schatten, die auf seinem Sieg lasten, könnten in den kommenden Monaten ihren Tribut fordern.“