Kann Macrons Experiment gelingen?
Emmanuel Macron ist nun offiziell der 25. Präsident Frankreichs. Mit der traditionellen Militärparade wurde er am Sonntag in sein Amt eingeführt. Europas Kommentatoren diskutieren nicht nur die Schwierigkeiten, die vor ihm liegen, sondern auch, was die Zeremonie über Macrons Selbstverständnis als Präsident aussagt.
Er will die ganze Fünfte Republik
Mit der Zeremonie am Sonntag hat Macron gezeigt, welche Art von Präsident die Franzosen nun bekommen, analysiert Libération:
„Der neue Präsident ist zum Protokoll zurückgekehrt. Er hat keinen einzigen Fehler begangen. Alles wurde bedacht und kalkuliert, um diesem Tag präsidiale Würde zu verleihen. Das ist Teil des Charmes oder der Widersprüchlichkeit dieses jungen, 39-jährigen Präsidenten: seine Modernität ist ein entwaffnender Klassizismus. Er versteckt sich nicht. Er fordert das ganze Erbe der V. Republik für sich ein, die viele für am Ende halten. Nicolas Sarkozy wollte sie modernisieren, François Hollande wollte sie desakralisieren und ihr eine normalere, volksnähere Form geben. Beide hatten keinen Erfolg. Macron hingegen will die V. Republik, die ganze V. Republik. Er glaubt an die Vertikalität der Macht und akzeptiert ihre militärische und autoritäre Seite. Kurzum, in seinen eigenen Worten: Er will ein präsidialer Präsident sein.“
Gegenwind für Populismus
Jetzt muss Macron den Kampf gegen den Populismus offen aufnehmen, fordert Historikerin Anne Applebaum in einem Beitrag der Washington Post, den Jyllands-Posten nachdruckt:
„Marine Le Pen stand für die Unzufriedenheit der Franzosen: die Unzufriedenheit mit der Wirtschaft, der Sicherheitslage, der Einwanderungspolitik und der privilegierten politischen Elite - auch wenn sie selbst Teil davon war. Diese Problemstellungen muss Emmanuel Macron angehen. Das kann bedeuten, dass seine Unterstützer Reformen im Stile Thatchers akzeptieren müssen. Gleichzeitig hat er keine parlamentarische Mehrheit und der rechtsorientierte Gegner kann potenziell noch stärker werden. ... Es hilft weder, sich darüber zu ärgern, dass der Populismus eine neue Normalität ist, noch, Marine Le Pen und ihren Gesinnungsgenossen den Mund zu verbieten. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und ihre Stärke kann nur mithilfe offener Konfrontation, einer gesunden Wirtschaft und mehr Sicherheit neutralisiert werden.“
Genau so enttäuschend wie Obama?
Wer Macron mit Obama vergleicht, sollte sich daran erinnern, dass es die Enttäuschung über Letzteren war, die Trump ins Weiße Haus gebracht hat, meint Magyar Nemzet:
„Macron muss die politischen, ideologischen und infrastrukturellen Grundlagen seiner Präsidentschaft aufbauen. Erster Schritt: Er muss seine noch schwache innenpolitische Position stärken, eine parlamentarische Mehrheit erreichen und eine tragfähige Regierung bilden. Es ist kein gutes Vorzeichen, dass das Gros der Wähler weniger für Macron als vielmehr gegen Le Pen votiert hat. Sein Wahlsieg gründet nicht auf Vertrauen, sondern auf nüchternen Erwägungen seitens der Wähler. ... Mithin sollte der Erfolg Macrons mit Vorsicht genossen werden. Was den Vergleich mit Obama angeht, möchten wir daran erinnern, welch große Enttäuschung dieser am Ende für die Amerikaner war, die ein neues Zeitalter herbeisehnten.“
Macron braucht die Republikaner
Es bleiben noch 149 Kandidaten auszuwählen, betont Il Sole 24 Ore, und meint, ein paar erfahrene Politiker wird Macron sicher noch an Land ziehen:
„Bisher sind unter den 428 Kandidaten nur 24 scheidende Abgeordnete. Alle von ihnen sind Sozialisten oder Grüne. ... [Macrons] Hoffnung ist, dass in den kommenden Tagen - vermutlich nach Bekanntgabe des Namens des künftigen Premiers - wenigstens einige Persönlichkeiten der Republikaner zum Sprung über den Graben ansetzen. Was den künftigen Regierungschef angeht, ist die Ernennung von Edouard Philippe in den letzten Stunden immer wahrscheinlicher geworden. Der 46-jährige Bürgermeister von Le Havre steht dem Ex-Premier Alain Juppé nahe, dem bekanntesten Vertreter des Zentrums der Republikaner.“
Sozialdemokraten einbinden
Dass Macron den ehemaligen Premier Manuel Valls nicht in sein Team aufgenommen hat, ist für die Politologin Renée Fregosi in Le Figaro ein Fehler:
„Sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht sollten zwei Eigenschaften der Sozialdemokratie bei der künftigen Regierungsarbeit im Zentrum stehen: zu verhandeln und nach Kompromissen zu suchen. ... [Es sollte] das nächste Arbeitsgesetz, das Macron im Wahlkampf angekündigt hat, unbedingt so ausgehandelt werden, dass es die Zustimmung der nunmehr größten Gewerkschaft Frankreichs erhält. Zumal die [linke Gewerkschaft] CGT und die radikale Linke bereits massive Proteste angekündigt haben. … Darüber hinaus wird die europäische Dimension, die in Emmanuel Macrons Projekt eine zentrale Rolle spielt, von einer neuen Sozialdemokratie geteilt. Diese will ein starkes und kompakteres Europa mit einer harmonisierten Sozial- und Fiskalpolitik.“
Ein starkes Experiment der Mitte
In Frankreich hat ein einzigartiges politisches Experiment begonnen, das Folgen für ganz Europa haben könnte, jubelt Der Standard:
„Nun hat Frankreich einen Präsidenten, der zu keinem Lager zählt: zu progressiv für die Rechten, zu marktwirtschaftlich für die Linken. Wenn es Macron gelingt, mit der En-Marche-Bewegung eine Parlamentsmehrheit zu erringen und diese über Jahre zusammenzuhalten, kann er eine neue, bisher unbekannte demokratische Dynamik schaffen - und eine attraktive Alternative zu rechtspopulistischen Kräften. Das würde auch auf andere europäische Länder abfärben, wo die Wähler immer weniger Loyalität gegenüber etablierten Parteien an den Tag legen.“
Jetzt nicht lockerlassen!
Macron hat nur ein kurzes Zeitfenster, um den von ihm versprochenen Wandel einzuleiten, mahnt The Economist:
„Macron muss rasch und ambitioniert handeln. Ambitioniert, weil man davon ausgehen kann, dass die Linke und die Gewerkschaften kleine Reformen ebenso hart bekämpfen werden wie große. Wenn Macron die einfachen Bürger gegen die organisierte Arbeiterschaft mobilisieren will, muss er diesen Kampf lohnenswert machen. Und Macron muss rasch handeln, denn wenn er mit seinen Reformen erfolgreich sein will, wird er keinen besseren Zeitpunkt zur Umsetzung finden als jetzt. Er hat das Image des Siegers. Seine Partei geht mit dem Reiz des Neuen ins Rennen. Macron kann mit Lehrstellenangeboten und Steuersenkungen wirtschaftliche Impulse setzen. Vor allem aber handelt er mitten in einer Wachstumsphase der französischen Wirtschaft. Diese wächst derzeit schneller denn je seit der kurzen Erholungsphase von 2010 nach der Krise.“