Kann May die Massen erreichen?
Das Wahlprogramm der britischen Premierministerin Theresa May sieht eine härtere Einwanderungspolitik und eine reformierte Steuerpolitik vor. Sie versucht damit, sich vor den Brexit-Verhandlungen möglichst großen Rückhalt bei den Wählern zu verschaffen. Europas Kommentatoren diskutieren, ob ihr Plan aufgehen kann und ob er langfristig für Großbritannien richtig ist.
Brexit-Mantra im Wahlprogramm ist gefährlich
May schlägt den falschen Weg ein, wenn sie einen Rückzug aus dem EU-Binnenmarkt bewirbt und sich für eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern stark macht, findet The Observer:
„Das wiederholte Mantra lautet: Gar kein Abkommen ist immer noch besser als ein schlechtes Abkommen. Hier liegen May und ihre Partei schlicht falsch. Wenn Großbritannien ohne Abkommen aus der EU rauscht, hätte das traumatische Folgen für unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Europa. Über 40 Jahre lang war die britische Industriepolitik auf EU-Mitgliedschaft geeicht. Die ausländischen Investitionen, die unsere verarbeitende Industrie verändert haben, wären genauso gefährdet, wie der Standort von etwa 500 multinationalen Firmen, die ihren Haupt- oder Regionalsitz in Großbritannien haben. Vom Finanzsektor und der kreativen Industrie mal ganz abgesehen. ... Dass Mays Position so selten angefochten wird, ist eine Schande. Zu verdanken ist dies der Schwäche der heutigen Labour-Partei.“
Tories kopieren Le Pen
Mit seinem fremdenfeindlichen Grundtenor ähnelt Mays Manifest zum Teil den Aussagen der rechtsextremen Marine Le Pen aus Frankreich, kritisiert El País:
„Die Ausländer sind an allem Schuld. So sieht es Marine Le Pen. ... Wenn solche Positionen als populistisch und fremdenfeindlich verurteilt werden, wie soll man dann die von Theresa May in Großbritannien bezeichnen? ... [In ihrem Wahlprogramm] wird erneut die Ablehnung von Ausländern als Wundermittel präsentiert. Der Wohlstand kommt, indem man die Zuwanderung beschränkt, vor allem die von gering qualifizierten Arbeitskräften. Unternehmen, die Nicht-EU-Bürger anstellen, müssen Abgaben in doppelter Höhe zahlen (2.000 Pfund im Jahr). Die Kriterien für die Vergabe von Studentenvisa werden verschärft und die Grenzen werden härter kontrolliert, um den Zustrom europäischer Bürger zu bremsen.“
Abschottung mit sozialem Anstrich
Mit ihrem Manifest steuert May auf den Wahlsieg zu, prophezeit De Volkskrant:
„Genau wie New Labour vor gut 20 Jahren sieht Theresa Mays Team die Treue ihrer Anhänger als selbstverständlich an. In Mays Fall ist dies die Treue der reicheren Alten und der Wirtschaft. ... In ihrem Manifest stehen Punkte, die vor zwei Jahren im Labour-Programm standen. ... Ihre Jagd auf Brexit-Wähler in Mittel- und Nordengland wird erleichtert, weil es faktisch keine glaubwürdige Opposition gibt. ... Die Hoffnung der Europa-freundlichen Briten, dass May ein starkes Mandat für einen sanfteren Brexit nutzen wird, ist bislang unberechtigt. Sie steuert weiter auf einen harten Brexit zu, um die Zuwanderungszahlen zu senken.“
Tories können es nicht allen recht machen
Dass die Tories in ihrem Wahlprogramm zu viel versprechen, fürchtet The Times:
„May versucht mit ihrem Manifest, einen großen Teil des politischen Spektrums anzusprechen: von gemäßigten Mitte-links-Wählern bis zu ehemaligen Unterstützern von [der euroskeptischen] Ukip, die nun kein politisches Zuhause mehr haben. Doch wird die Wirkung abgeschwächt, weil hier zu viel versucht wird? Die Premierministerin bemüht sich mit ihrem Manifest, früher von Labour besetztes Territorium einzunehmen. Sie verspricht, in der nächsten Legislaturperiode zusätzlich acht Milliarden Pfund für Gesundheit und vier Milliarden Pfund für Bildung auszugeben. ... Ihre Rhetorik beim Thema Zuwanderung wird frühere Ukip-Wähler ansprechen. Doch ihre Entscheidung, an dem gescheiterten Ziel festzuhalten, nicht mehr als 100.000 Zuwanderer pro Jahr zuzulassen, könnte ihre Glaubwürdigkeit untergraben. ... Es gibt noch Einiges zu tun, um die Menschen vom 'Mayismus' zu überzeugen und zu zeigen, wofür dieser eigentlich steht.“