Trauer um Liu Xiaobo
Nach dem Tod Liu Xiaobos hat sich China gegen Kritik an seinem Umgang mit dem Dissidenten gewehrt, der trotz eines schweren Krebsleidens nicht ausreisen durfte. Sein Freiheitskampf brachte Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis. Doch bei seinem jahrzehntelangen Ruf nach Demokratie hat ihn der Westen alleingelassen, klagen Kommentatoren.
Westen hat sich und Liu Xiaobo verraten
Der Westen hat im Umgang mit Liu Xiaobo versagt, konstatiert La Repubblica:
„Bis zu seinem letzten Tag war Liu Xiaobo für das Regime ein lebendiger und fortwährender Skandal, gerade weil er für die Verbindung zwischen dem modernen Kampf für Menschenrechte und dem chinesischen 'Frühling' [auf dem Platz des Himmlischen Friedens] stand. ... Ein Slogan lautete damals: 'Das ist unser Land. Wenn wir nicht tun, was wir tun müssen, wer tut es dann für uns?' Sicher nicht der Westen, der heute um den toten Liu Xiaobo trauert, während er die Pflicht gehabt hätte, sich seiner anzunehmen als er noch lebte und in Haft saß - und zwar bei jedem G7, bei jedem bilateralen Treffen, bei jedem Händedruck mit den Führungskräften aus Peking. Der tatenlose Westen erlag immer wieder den Versuchungen der Realpolitik. Er hat den Dichter und sich selbst verraten.“
Wie Sittiche im Käfig
Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo hatte im Kampf gegen das mächtige Regime keine Chance, führt NRC Handelsblad aus:
„Durch das Internet, das er als 'Geschenk Gottes für China' bezeichnete, schöpfte er Hoffnung. Doch das war eine seiner größten Fehleinschätzungen. Sicher war er nicht der Einzige, der glaubte, dass durch immer mehr Internetnutzer der Ruf nach politischen Reformen lauter werden würde. Das Gegenteil traf ein: Der Staat verstärkt täglich seinen Angriff auf die digitale Welt. Gegen Schriftsteller, Blogger und Anwälte mit abweichenden Meinungen wird schnell und effektiv vorgegangen. Die Anhänger von Liu Xiaobo gibt es natürlich, doch sie leben zwangsläufig in einer Parallelwelt. ... Die langjährige Umweltaktivistin Dai Qing sagte einmal passend: 'Dissidenten sind wie Sittiche in einem Käfig'. Der lauteste und bekannteste Sittich ist nun gestorben.“
Unnachgiebigkeit steht für Schwäche
Der Tod Liu Xiaobos verrät viel über das Regime in Peking, bilanziert La Croix:
„China hat einen Nobelpreisträger sterben lassen. … Das Duell zwischen dem Demokratieverfechter und dem Regime ist aber noch nicht beendet. Das tragische Schicksal Liu Xiaobos wird die Macht der Kommunistischen Partei Chinas und ihren Generalsekretär Xi Jinping noch lange in ein paradoxes Licht hüllen. Unnachgiebigkeit ist auch ein Ausdruck der Schwäche. Indem das System eine Stimme erstickt hat, die die Achtung der Menschenrechte und freie Wahlen einforderte, offenbarte es die Zerbrechlichkeit seiner eigenen Legitimation.“