Kann die EU Polens Justizreform stoppen?
Allen Mahnungen zum Trotz treibt Polens Regierungspartei PiS die umstrittene Justizreform voran. Entsprechend macht die EU-Kommission ernst und leitet ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Für einige Kommentatoren der richtige Schritt gegen den Abbau der Demokratie, für andere eine unzulässige Einmischung von außen.
Deutschland soll sich nicht einmischen
Das regierungsnahe Nachrichtenportal Wpolityce.pl veröffentlicht auf Deutsch eine Kritik an deutschen Medien und Politikern:
„Ist es nicht paranoid, dass ehemalige Okkupanten, die einen Weltkrieg entfesselt, jeden fünften Polen ermordet, und unser Land ruiniert hatten, denen von den Alliierten Demokratie mit Gewalt aufgezwungen wurde, uns jetzt Demokratie beibringen möchten, und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man denn nun die demokratisch gewählte Regierung auswechseln könnte, um sie durch den, sich zur Zeit 'im Exil' befindenden, Schützling Donald Tusk zu ersetzen? ... Angeheizt durch die Deutschen, behandelt der künstlich entfachte Streit Polens mit der EU im Wesentlichen bei uns nicht durchgeführte Reformen, die sich faktisch in nichts von den Rechtsnormen in Deutschland unterscheiden. Bei denen heißt es 'Rechtsordnung', bei uns 'Demontage des Rechtsstaates'.“
Der PiS-Gesetzgebungswahn muss aufhören
Französische Mitglieder des Vereins für die Verteidigung der Demokratie in Polen fordern gemeinsam mit Intellektuellen und Wissenschaftlern in Le Monde ein Ende der PiS-Reformen:
„Wir wollen nicht, dass Polen die EU verlässt. … Das Land hat mit Überzeugung und Intelligenz an der Entstehung eines neuen Europas mitgewirkt, das heute in Gefahr ist. Sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten, als auch zwischen ihnen, gibt es immer wieder Meinungsverschiedenheiten. Alle europäischen Gesellschaften werden von euroskeptischen Strömungen durchdrungen. Bislang hat jedoch noch keine polnische Regierung die Beitrittskriterien infrage gestellt. Dies deuten die Gesetze [der Justizreform] aber an. Sie gefährden den Zusammenhalt Europas. Der Gesetzgebungswahn der PiS muss aufhören.“
Hinzielen, wo es wehtut
Newsweek meint, dass Polens Politiker einen Stimmrechtsentzug nicht fürchten - im Gegenteil:
„Politische Sanktionen werden in Brüssel als 'nukleare Option' betrachtet, aber diese würden auf die Regierung wohl keinen Eindruck machen. [PiS-Chef] Kaczyński, [Außenminister] Waszczykowski, [und Verteidigungsminister] Macierewicz haben eine andere Schmerzensgrenze als westeuropäische Politiker. Die Parteipropaganda könnte die politischen Sanktionen sogar genüsslich für ihre paranoide Anti-Europa-Kampagne verwerten, mit der sie seit mehr als einem Jahr den Polen einzureden versucht, dass 'die Europäische Kommission Polen angreift'. Erst die Verbindung beider Arten von Sanktionen [finanzieller und politischer] wäre mehr als eine leere Geste.“
Sanktionen könnten falsche Botschaft senden
Eine harte Bestrafung Polens könnte die Falschen treffen, warnt Novi list:
„Über eine Aktivierung der 'nuklearen Option' - wie Artikel 7 informell genannt wird - gegenüber Polen wurde schon Ende 2015 spekuliert. ... [Die aktuelle polnische] Politik muss sich zum Glück mit der Gegenwehr der Polen auseinandersetzen, die sich erneut organisieren und in Komitees zur Verteidigung der Demokratie zusammentun, die zur größten Bewegung nach der Solidarność der 1980er Jahre wurden. Deshalb muss die EU gut aufpassen, dass sie mit Strafmaßnahmen gegen Polen nicht diejenigen entmutigt, die täglich für den polnischen Rechtsstaat und die Demokratie demonstrieren.“
Polen gehört trotz allem zur Familie
De Volkskrant begrüßt die Schritte der EU-Kommission gegen Polen, hofft aber, dass es nicht zu einem Bruch mit Warschau kommen wird:
„Polen gehört zur europäischen Familie, trotz aller Kulturunterschiede. Brüssel sollte so klug sein und Verständnis dafür aufbringen, dass die Polen angesichts ihrer Erfahrungen mit Moskau auf alles übersensibel reagieren, was nach einem Diktat aus Brüssel riecht. Aber es liegt auch im Interesse der Polen, dass die EU die PiS-Regierung davon abhält, die Fehler des kommunistischen Systems zu wiederholen. Niemand will zurück zur 'Telefon-Justiz' des alten Systems, bei der ein Anruf der Partei beim Richter ausreichte. Es wird sich zeigen, wie groß die Wirkung der europäischen Warnungen sein wird. Aber es ist in jedem Fall ein gutes Zeichen, dass Präsident Andrzej Duda zweifelt, ob er das Gesetz unterzeichnen soll.“
Die Union ist kein Selbstbedienungsladen
Die EU muss jetzt Strenge zeigen, fordert Politiken:
„Es geht um die Seele der EU. Darum, ob wir die gemeinsame Wertegrundlage ernst nehmen oder nicht. Deshalb müssen wir jetzt auf einen groben Klotz einen groben Keil setzen. Die EU-Kommission droht mit einem Artikel-7-Verfahren, das aber Einstimmigkeit erfordert. Dabei kann Polen mit Ungarns Unterstützung rechnen. Die EU muss trotzdem handeln. Dänemark und die anderen EU-Länder sollten auch die belgische Idee erwägen, Polens Zugang zu EU-Mitteln zu begrenzen, um zu zeigen, dass die EU kein Selbstbedienungsladen ist. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass die Zeit drängt.“
Brüssel muss jedes Mittel anwenden
Der Deutschlandfunk begrüßt den verschärften Kurs gegenüber Polen, sieht die Kommission jedoch in einem Dilemma:
„Wer droht, sollte am Ende auch zubeißen können, wenn es gar nicht mehr anders geht. Hier aber könnte sich Brüssel schnell als zahnloser Tiger erweisen. Vertragsverletzungsverfahren sind vergleichsweise leicht umzusetzen. Ein Entzug der Stimmrechte nach Artikel 7 aber erfordert die einstimmige Unterstützung durch die 27 Mitgliedsstaaten. Zumindest Ungarn aber hat sich schon vorab positioniert - eine solche Maßnahme will das Land nicht mittragen. ... Doch letztlich ist das politische Signal entscheidend. Die Kommission muss den vorhandenen Instrumentenkasten nutzen, auch wenn die Mittel vielleicht nicht ausreichen, um die PiS-Partei zu stoppen. ... Es geht jetzt um massiven politischen Druck, denn den offenen Rechtsbruch in einem Mitgliedsland kann die EU nicht hinnehmen.“
EU-Gelder nur gegen Respekt für Grundwerte
Die EU ist im Grunde die einzige Instanz, die Druck auf die Regierung in Warschau ausüben kann, analysiert The Irish Times:
„Zwei externe Mächte haben die besten Druckmittel auf Warschau: die Vereinigten Staaten und die EU. Donald Trump, der Anfang dieses Monats in Warschau eine Rede hielt, die ganz im Einklang mit den nationalistischen Tendenzen seiner Gastgeber stand, ist dieser Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen. Aber Brüssel kann und muss handeln. Zuerst sollte es seine Macht nutzen und ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Polens Angriff auf die Gewaltenteilung einleiten. Und sobald Gespräche darüber beginnen, wie der Kuchen der reduzierten EU-Subventionen nach dem Brexit aufgeteilt werden soll, muss klar gemacht werden, dass der Respekt für die Grundwerte der EU eine nicht verhandelbare Vorbedingung ist.“
Neue Kluft zwischen West und Ost
Vor einem Bruch zwischen West- und Osteuropa warnt De Volkskrant:
„Der Eiserne Vorhang ist weg. Stattdessen entsteht nun eine mentale Kluft. Die Regierungen in Warschau und Budapest sind ultrakonservativ und ultranationalistisch. ... Brüssel ist für sie 'das neue Moskau', das die gerade erst wiedergewonnene nationale Souveränität bedroht. ... Polen und Ungarn wollen auch keine Muslime aufnehmen. Diese bedrohen den homogenen und christlichen Charakter ihrer Gesellschaften, heißt es. Diese Wahrnehmung der Realität ist ziemlich weit von der in Westeuropa entfernt. ... Nun droht die Eskalation. Wer nicht hören will, muss fühlen, ruft man bereits in Italien und anderen westlichen Mitgliedsstaaten.“