Was kann Sofias Ratspräsidentschaft erreichen?
Zum Jahresbeginn hat Bulgarien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Ob sich das Land dabei besonders profilieren kann und was sich der bulgarische Bürger von der Präsidentschaft erwartet, diskutieren Journalisten.
Bulgaren lagern Problemlösung gerne aus
Pünktlich zum feierlichen Beginn der bulgarischen Ratspräsidentschaft haben neun Bürgerinitiativen Proteste angemeldet, unter anderem gegen den Bau eines Skilifts und gegen Armut und Korruption. Standart erkennt hier einen Charakterzug vieler Bulgaren:
„Die Protestierenden spekulieren darauf, dass der Premier sich angesichts der Ratspräsidentschaft barmherzig zeigen und in seinem Ehrgeiz, eine reibungslose Ratspräsidentschaft zu ermöglichen, den Forderungen schnell nachgeben wird. In den kommenden sechs Monaten dürfte es also viel Gejammer geben. … Das Traurige dabei ist, dass die Leute nicht bereit sind ihre Probleme selbst anzupacken, um in kleinen Schritten etwas zu ändern, sondern immer auf jemanden warten, der kommt und sie für sie löst. So war es früher mit dem großen Bruder aus Moskau. Jetzt warten wir auf Mutti Merkel und die großen Chefs aus Europa.“
Viel Lärm um sehr wenig
Warum die EU-Ratspräsidentschaft die bulgarische Öffentlichkeit so sehr beschäftigt, ist für den Kolumnisten von News.bg, Dimitar Petrow, ein Rätsel:
„Dieser rotierende Vorsitz ist mehr oder weniger symbolisch. ... Wissen Sie, welches Land vor uns den Vorsitz hatte und welches als nächstes übernimmt? Estland und Österreich. Ich selbst musste das nachschlagen. In den kommenden sechs Monaten werden in Sofia eine Reihe politischer und kultureller Veranstaltungen stattfinden. Die großen politischen Entscheidungen über die Zukunft der EU werden jedoch weiterhin in Brüssel gefällt. Politisch kann Sofia also kaum einen Nutzen aus dem Ratsvorsitz ziehen. Er ist vielmehr eine Chance, das Image Bulgariens in Europa zu verbessern, die Kultur und den Tourismus voranzutreiben.“
Gut gemeinte aber nutzlose Initiative
Es wäre naiv zu glauben, dass Bulgarien seinen westlichen Nachbarländern den Weg in die EU ebnen kann, kommentiert der bulgarische Dienst der Deutschen Welle:
„Bulgarien hat zwar ein Gipfeltreffen zur Zukunft des Westbalkans anberaumt, doch weder Montenegro, noch Serbien oder Mazedonien können sich deswegen konkretere Zusagen bezüglich ihres EU-Beitrittsverfahrens erhoffen. Abgesehen davon kann Bulgarien seinen westlichen Nachbarländern trotz aller guten Absichten und aller regionalen Kompetenz beim besten Willen nicht als gutes Beispiel und Antriebsmotor für den EU-Beitritt dienen. Schließlich steht Bulgarien im Rahmen des EU-Monitorings selbst noch unter kritischer Beobachtung aus Brüssel.“
Sofia wird zum Mittler in der Region
Die EU-Ratspräsidentschaft ist eine Chance für Bulgarien, weil es seine geopolitische Rolle ausbauen kann, meint 24 Chasa:
„Wir müssen unsere führende Position in Bezug auf den Westbalkan behaupten, um nicht zu verlieren, was wir bereits erreicht haben: den historischen Durchbruch in den Beziehungen mit Mazedonien, die mittlerweile unumgängliche Positionierung als Mittler zwischen der EU, den Westbalkan-Ländern und der Türkei. … Geopolitik war schon immer ein entscheidender Faktor in den internationalen Beziehungen. Das dürfte mittlerweile selbst den eingefleischtesten Liberalen klar geworden sein.“