Stürmische Zeiten für Deutschlands Volksparteien
Nach herben Verlusten bei der Bundestagswahl und zermürbenden Koalitionsverhandlungen leiden SPD wie Union nun unter anhaltenden Personaldebatten. Europas Presse befürchtet, dass Deutschlands große Traditionsparteien langfristig Schaden nehmen könnten.
Mahnung an die Sozialdemokraten Europas
Právo befürchtet den totalen Niedergang der deutschen Sozialdemokratie:
„Die SPD liegt nur noch wenige Prozentpunkte vor der AfD. Deren Fraktionschefin Alice Weidel sagt, man werde die SPD noch einholen, denn die AfD sei eine Volkspartei und verteidige die Interessen der Leute. Es steht also eine Menge auf dem Spiel. Immer weniger Menschen fühlen sich von den Linken angesprochen und geben lieber rechten Populisten den Vorrang. Statt Programme für die Zukunft aufzustellen, schwimmen die Sozialdemokraten nur noch im Fahrwasser der Konservativen. Das wäre auch in der GroKo so. Der Eintritt in die Koalition könnte das 'letzte Hurra' der SPD werden - und ein Memento für die übrigen sozialdemokratischen Parteien in Europa.“
Ignoranz führt ins Verderben
Die SPD scheint ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie die litauischen Sozialdemokraten, analysiert 15min:
„Das politische Spiel von Schulz und der Parteispitze, das die Partei-Jugend ignoriert, erinnert an das egoistische Verhalten der litauischen Sozialdemokraten vor einem Jahr. Damals entschieden sich die über die Jahre zur Nomenklatur verkommenen Partei-Alten gegen den Wunsch der Jugend nach der Wahlschlappe zur Bildung einer neuen Regierung. Mit der Postenverteilung [innerhalb der neuen Regierung] verrieten sie ihre neue Parteiführung und die Mehrheit. Die Alten versuchten schließlich, die Partei ganz zu spalten. Nun stehen sie offensichtlich mit leeren Händen da.“
Merkel muss Weg freimachen
Auch die CDU hat ein Problem, denn Merkels Festhalten an der Macht ist kontraproduktiv, finden die Salzburger Nachrichten:
„Merkel ist längst zu einer dominanten Figur in der CDU geworden. Persönlichkeiten, die wie sie mit derart eisernem Willen politisches Gestalten geübt haben, können nicht so leicht loslassen von der Macht. Auch preußisch-protestantisches Pflichtbewusstsein spielt im Fall Merkel bei diesem Beharren auf dem Spitzenplatz eine wichtige Rolle. … Jetzt muss Angela Merkel in der CDU schnell das Versäumte nachholen - also mit einer Kabinettsumbildung den spürbaren Überdruss an ihrer Person und ihrer Art des Politikmachens dämpfen, talentierte Nachwuchspolitiker als potenzielle Nachfolger mitbestimmen lassen und auch der politischen Diskussion in der Partei wieder mehr Raum geben.“
Ein Drama ersten Ranges
Die taz macht sich ernsthafte Sorgen um die außenpolitische Stellung Deutschlands:
„[D]er Rückzug des Ex-EU-Parlamentspräsidenten, Ex-SPD-Spitzenkandidaten, Bald-Ex-Parteivorsitzenden Schulz ist ein Drama ersten Ranges. Für ihn, für seine Partei. Aber auch für dieses Land. … Ein Staat, dessen politische Vertreter sich wie in einer Bananenrepublik gegenseitig ins Aus kegeln, wird zur Lachnummer auf dem internationalen Parkett. Der Rechtsdrall in Europa, die globalen Fluchtbewegungen, der anschwellende Bocksgesang zwischen den Supermächten - man kann die außenpolitischen Schwelbrände förmlich riechen. Wen hat die SPD, wen hat diese Große Koalition zu bieten, der oder die sich all dieser Themen sowohl respektvoll als auch versiert annimmt? Wie gesagt: Ein Drama ersten Ranges.“
Deutschland plötzlich instabil
Plötzlich kann man auf Deutschlands Stabilität nicht mehr bauen, bilanziert Mladá fronta dnes:
„Die SPD befindet sich im freien Fall, gleicht einem manövrierunfähigen Boot. Wohin dieses Boot treibt, wird man erst nach dem innerparteilichen Referendum über den Koalitionsvertrag erfahren. Erst dann wird auch Angela Merkel wissen, ob sich die an eine Kapitulation erinnernden Zugeständnisse an die SPD überhaupt gelohnt haben. Aus der CDU werden Rufe laut, 'dynamische, kluge, junge Köpfe' zu finden und 'endlich frische, unverbrauchte Gesichter' in die Führungspositionen zu schicken. ... Deutschland auf ungewohntem Terrain. Ein Stabilitätsanker? Ein Vorbild an Solidität? Eher abenteuerlich unsicher.“
SPD-Basis könnte aufmucken
Nach den Querelen der vergangenen Tage könnten die einfachen Parteimitglieder der SPD-Führung die Gefolgschaft verweigern, glaubt Kolumnist Wolfgang Münchau in Financial Times:
„Die Parteiführung wirkt wie eine Gruppe verräterischer Verschwörer. Für einfache SPD-Mitglieder muss der Gedanke verlockend sein, sie loszuwerden und einen Neustart zu versuchen. ... Nicht auszuschließen, dass die SPD-Mitglieder knapp für die Große Koalition stimmen. Doch ich glaube nicht, dass die Parteiführung derzeit eine Mehrheit hinter sich hat - trotz des Abtritts von Martin Schulz. Und selbst, wenn es ein knappes Votum für die Koalition geben sollte, ist schwer vorstellbar, dass diese Regierung und Angela Merkel die volle Legislaturperiode durchhalten werden.“