Putins jährliche Sprechstunde: Es bleiben Fragen
Auf seiner alljährlichen Pressekonferenz und Bürgerfragestunde hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Situation seines Landes einmal mehr in einem positiven Licht dargestellt: Der Wirtschaft gehe es gut. Und auch im Ukraine-Krieg könne die russische Armee laufend Territorien "befreien". Demgegenüber bewerten Kommentatoren die Lage in Russland kritisch.
Schwurbler an der Staatsspitze
Der Wirtschaftswissenschaftler Konstantin Sonin wundert sich auf Facebook, dass Putin noch Gefolgschaft geleistet wird:
„Hitler hat in den letzten Kriegsjahren keine großen Pressekonferenzen gegeben und sich gegen Ende nur noch mit einem kleinen Kreis von Personen getroffen. Doch wenn er eine Pressekonferenz abgehalten hätte, wäre Ähnliches zu sehen gewesen: erfundene Zahlen, die Unfähigkeit, einfache Fragen, die nicht in sein eigenes Weltbild passen, zu verstehen (wie die Frage nach dem aktuellen Scheitern in Syrien) und blöde Witze. Das ist jedoch nicht das eigentliche Rätsel. Es gibt durchaus zurechnungsfähige Menschen in Russlands Führung: jede Menge Gauner und Diebe, Hochstapler und Abenteurer – aber zurechnungsfähig. Wie können sie die Ruhe bewahren, wenn ein wahrhaftig inadäquater Mensch an der Spitze ihrer Regierung steht?“
Was sich hinter seinen Worten verbirgt
Der Rektor der Kyiv School of Economics, Tymofij Mylowanow, interpretiert Putins Aussagen auf Facebook:
„Putin sagt: Die Inflation sei ein alarmierendes Signal, sie liege bei 9,2 bis 9,3 Prozent, jedoch stiegen die Reallöhne schneller als die Inflation. Deshalb sei die Gesamtsituation stabil. Was er meint: Die Wirtschaft ist dabei, zu kollabieren, und selbst ich kann mich diesbezüglich keinen Illusionen mehr hingeben. Putin sagt: Unsere Soldaten befreien jeden Tag Quadratkilometer für Quadratkilometer. Was er meint: Unsere Soldaten sterben zu Tausenden für meine Ambitionen. Putin sagt, er könne kein konkretes Datum für die Befreiung der Region Kursk nennen, aber der Feind werde auf jeden Fall vertrieben. … Was er meint: Ich kann nicht mehr genügend Männer rekrutieren. Putin sagt, es gäbe viele Leute in der Ukraine, die das Neonazi-Regime loswerden wollen. ... Was er meint: Ich will eine Marionettenregierung installieren.“
Russland steht unter Druck
Politiken will sich von den Worten des russischen Präsidenten nicht täuschen lassen:
„Während in der Ukraine der Krieg tobt, verliert Russland in anderen Teilen der Welt an Boden. Trotz Putins Gegendarstellung ist der Sturz des Assad-Regimes in Syrien eine schwere Niederlage für Russland, die das Land am Ende seine einzigen Militärstützpunkte im Nahen Osten kosten könnte. Hinzu kommt der Signalwert, dass Russland seinen engen, langjährigen Verbündeten nicht retten konnte oder wollte. Auch in Armenien mussten die Machthaber im vergangenen Jahr die Grenzen von Putins Hilfe erkennen. ... Putin mag in Moskau stark wirken. Doch steht Russland unter Druck – und darüber können auch Putins Darstellungen nicht hinwegtäuschen.“