Aus der Traum von der baltischen Schweiz
Als Drehscheibe für dubiose Deals wurde Lettland zu erfolgreich - und deshalb jetzt von US- und EU-Finanzbehörden ausgebremst, meint Ria Novosti:
„Unsere lettischen Nachbarn wollten eine 'baltische Schweiz' errichten. ... Doch dann zeigte sich, dass diese Option für eine amerikanische Kolonie nicht vorgesehen ist. ... Lettische Banken haben seit Langem den Ruf, man könne dort leicht 'Fragen lösen', wenn es darum geht, 'graue' oder 'schwarze' Angelegenheiten abzuwickeln im Zusammenhang mit Geldern, die aus unbekannten oder kriminellen Quellen stammen oder aus dem Bereich der Korruption. Nach der öffentlichen - recht erfolgreichen - Auspeitschung der ABLV Bank bekommt dieser Ruf ein weiteres Element: Zwar hat Lettland ein sehr kundenfreundliches und vergleichsweise loyales Banking, aber jede lettische Bank kann auch jederzeit liquidiert werden und dann sehen die Kunden ihr Geld nie wieder.“
Schwarzer Schatten über dem Baltikum
Die lettische Bankenkrise wirft einen Schatten über das ganze Baltikum, schreibt das estnische Blatt Äripäev bedauernd:
„Als [das Medienunternehmen] Bloomberg am Montagnachmittag in einem seiner Titel fragte, warum die Geschäfte einer baltischen Bank wegen ihrer Nord-Korea-Beziehungen eingefroren werden, war der Schaden für unser Bankwesen schon passiert. ... Wir können nicht ohne Lettland. Ob wir es wollen oder nicht: Korruption im Staatsapparat unseres südlichen Nachbarns und Bankenskandale schaden auch uns. Einer baltischen Bank werden die Geschäfte eingefroren, und prompt werden auch alle hiesigen Banken von Schüttelfrost gepackt. ... Ist es möglich oder sinnvoll, Estland oder irgendeine Wirtschaftsbranche allein zu vermarkten, während uns alle anderen als Teil des Baltikums sehen? Leider nicht.“
Ende eines aufgeblasenen Bankenchefs
Nun zeigt sich das wahre Gesicht des Notenbankchefs, konstatiert Neatkarīgā:
„Der Fall Rimšēvičs zeigt, wie sehr die öffentliche Meinung irren kann. In ihren Augen war der Notenbankchef ein Garant für die Finanzstabilität des Landes. Fast diskussionslos wurde er wieder ins Amt gewählt: Die Politiker im Parlament wollten nicht ihr Ansehen dadurch beschädigen, dass sie sich gegen diese populäre Person erheben. Und das, obwohl die Presse Rimšēvičs seit Jahren mit Skepsis begleitete. Man wies darauf hin, dass er in verschiedenen Krisenepisoden zu passiv war. ... Jetzt endlich ist die PR-Blase des Bankenchefs geplatzt. Genugtuung gibt es kaum. Das Bild Lettlands ist beschädigt. Es ist zu hoffen, dass dieser Fall zukünftig als Lehre herangezogen wird, wenn man andere aufgeblasene Beamtengestalten bewertet.“
Zweifelhafter Finanzplatz
Der lettischen Politik fehlt der Wille, den Sumpf in der Finanzwelt trocken zu legen, klagt die Neue Zürcher Zeitung:
„Der Bankenplatz dieses baltischen Staats kämpft schon lange mit einem zweifelhaften Ruf. So war Lettland vor zwei Jahren wegen Bankgeschäften im Halbdunkel nur um Haaresbreite an der Blamage vorbeigeschrammt, nicht in die OECD aufgenommen zu werden. Die gelobte Besserung scheint ausgeblieben zu sein ... [D]ie lettische Politik [wird] bis heute stark von alten Seilschaften und grauen Eminenzen beherrscht. Eine Untersuchung, die in den letzten Monaten über einige notorische Oligarchen geführt wurde, sprach von Anzeichen dafür, dass der Staat von Partikulärinteressen gekapert worden sei. Dennoch verlief sie letztlich im Sand. Zu einer Anklage kam es jedenfalls nicht.“
EU darf kein zahnloser Tiger bleiben
Die Finanzkrise in Lettland offenbart, wie wenig Eingriffsmöglichkeiten Brüssel hat, bemängelt Financial Times:
„Das Unvermögen der EU, die Umsetzung von Regeln und Mindeststandards zu erzwingen, zeigt sich darin, dass es die USA und nicht EU-Institutionen waren, die gegen die ABLV-Bank vorgegangen sind. ... Dass niemand in den Bankensystemen der Mitgliedsstaaten sich auf EU-Ebene für sein Fehlverhalten verantworten muss, bringt das gesamte System in Gefahr. Es braucht deshalb dringend klare Verfahren, mit denen die EU Notenbankchefs absetzen und Verhaltensstandards erzwingen kann. Sonst wird sich die Krankheit des schmutzigen Geldes noch weiter ausbreiten.“