Hört beim Geld die EU-Freundschaft auf?
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben Beratungen über das Unionsbudget 2021 bis 2027 begonnen. Bundeskanzlerin Merkel schlug auf dem Gipfel am Wochenende vor, die Verteilung von Geldern an Bedingungen zu knüpfen, wie die Aufnahme Geflüchteter und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Eine unsinnige Forderung, finden einige Kommentatoren. Andere warnen vor zähen Verteilungskämpfen.
Ein unglaubwürdiger Vorschlag
Helsingin Sanomat hält nichts davon, die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen:
„Es dürfte schwierig werden, Bedingungen für die Vergabe von Finanzmitteln zu entwickeln. Der Haushalt, die Defizite und Schulden der EU-Länder werden beobachtet und auf dieser Grundlage werden Empfehlungen abgegeben. Aber wie sollen Defizite bei den rechtsstaatlichen Prinzipien eindeutig gemessen werden? Und woran? … Wenn man die Länder, die die Hand beißen, die sie füttert, verwarnen will, so ist dies ein etwas unglaubwürdiger Weg.“
Wider den gesunden Menschenverstand
Auch der Politologe Tamás Lánczi findet den Vorschlag problematisch. Auf dem regierungsnahen Blogportal Mozgástér schreibt er:
„Der Berliner Vorstoß birgt gleich mehrere Probleme. Erstens: Die deutsche Regierung hat die Flüchtlingskrise dermaßen erfolgreich bewältigt, dass Deutschland schon seit Monaten keine Regierung hat. Also haben die 'Pläne der deutschen Regierung' ein massives Legitimitätsdefizit. ... Zweitens: Die deutschen Pläne laufen dem gesunden Menschenverstand zuwider, geht es doch bei der Förderung aus dem EU-Kohäsionsfonds um die Unterstützung rückständiger Regionen. Müssen diese Regionen nun etwa eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, um EU-Gelder zu erhalten? ... Drittens: Die deutschen Pläne spiegeln die Interessen Deutschlands wider. Doch warum sollten diese Interessen mehr Gewicht haben als jene Ungarns?“
Nun wird es eng für die Regierung in Prag
Merkel verbindet nun auch die EU-Finanzen mit der Flüchtlingspolitik und könnte Tschechien damit Schwierigkeiten bereiten, konstatiert der öffentlich-rechtliche Hörfunk Český rozhlas:
„Merkel will die GroKo und geht deshalb in dieser Frage auf die SPD zu. Deren Politiker, wie Außenminister Sigmar Gabriel oder Martin Schulz, sind schon länger für die Kürzung der Subventionen. Jetzt fordert die Kanzlerin ein gemeinsames Asylsystem der EU, das Krisen abwehrt und eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge vorsieht. Solidarität könne keine Einbahnstraße mehr sein. ... Die völlig andere Haltung der Regierung in Prag mag zwar Mehrheitsmeinung in Tschechien sein. Aber das ändert nichts daran, dass unser Image im Ausland auch wichtig ist. Und ebenso wichtig ist, ob weiter Geld aus Brüssel kommt oder nicht. Da stehen der neuen tschechischen Regierung schwere Zeiten bevor.“
Am Geld scheiden sich Europas Geister
Der Streit um die Kopplung finanzieller Zuwendungen an Bedingungen wird nicht das einzige Konfliktthema in den Budgetverhandlungen sein, prophezeit die Brüsseler Korrespondentin von Il Sole 24 Ore, Adriana Cerretelli:
„Am Ende wird sich in diesem Streit der notwendige Kompromiss finden lassen, mit dem die Hürde einer einstimmigen Verabschiedung der Haushaltsregeln genommen werden kann. Doch schon kündigt sich der nächste, nicht weniger erbitterte Streit zwischen Nord und Süd an. Denn hier geht es um die Höhe des Budgets 2021-27, die Festsetzung alter und neuer politischer Prioritäten und darum, wie das vom Brexit gerissene Loch zu füllen sei. ... Deutschland ist bereit, seinen Beitrag aufzustocken, doch Frankreich und Italien zögern noch, während die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden bereits deutlich gemacht haben, dass sie nicht mehr zahlen werden.“