Wem nützen Diesel-Fahrverbote?
Nachdem das deutsche Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, dass Dieselautos in besonders schadstoffbelasteten Zonen deutscher Städte grundsätzlich ausgeschlossen werden dürfen, stellen immer mehr Menschen die Zukunft dieses Autotyps grundsätzlich in Frage. Journalisten diskutieren, wem dabei die größte Sorge gelten sollte: der Industrie oder dem Verbraucher.
Der Verbraucher wird blechen müssen
Das Urteil ist ein willkommenes Geschenk an die Autoindustrie, die sich möglicherweise über Millionen von Neuwagenkäufern freuen kann, meint Le Quotidien:
„Wieder einmal ist der Verbraucher der Dumme. Derweil konnte ein Konzern wie Volkswagen einen Nettogewinn von 11,35 Milliarden Euro für das vergangene Jahr und 5,1 Milliarden für 2016 einfahren. Und das trotz des größten Autoskandals aller Zeiten, dessen Rechnung allein für den Wolfsburger Konzern auf mindestens 25 Milliarden Euro geschätzt wird. Es wäre illusorisch, auch nur eine Sekunde lang zu glauben, dass diese Summe nicht auf die eine oder andere Weise wettgemacht oder wiedereingetrieben würde. Die Autobauer haben ihre Hand bereits in unseren Geldbörsen.“
Dieselmotor noch lange nicht am Ende
Helsingin Sanomat macht sich ebenfalls keine Sorgen um die Zukunft des Diesels:
„Die Schadstoffuntersuchungen, die Sicht der Bürger sowie die Diesel-Begrenzung in den Städten - all dies wird dazu führen, dass die Hersteller ihre Produktion von Diesel-Pkw herunterfahren und den Anteil von Elektroautos erhöhen. Vom Ende des Dieselmotors zu sprechen wäre aber verfrüht. Selbst, wenn beispielsweise Paris Einschränkungen für Dieselfahrzeuge beschlösse, bräuchte die Stadt weiterhin schwere Nutzfahrzeuge für Wartungsarbeiten - und die werden noch lange mit Diesel fahren. Und auch bei den Pkw werden sich große Dieselfahrzeuge noch lange behaupten. Denn deren Kunden haben genügend Kaufkraft, um effiziente und teure Reinigungssysteme einbauen zu lassen.“
Der Drecksmotor wird endlich ausrangiert
Das Ende des Dieselmotors ist in Sicht, freut sich De Standaard:
„Es sagt viel aus, dass ausgerechnet im Autoland schlechthin die rechtliche Realität so schnell kippen kann. Während die geplante Große Koalition die wichtige Autoindustrie noch mit Samthandschuhen anfassen will, treten die Richter in Leipzig aufs Gaspedal. Die Autobauer hoffen noch etwas retten zu können, in dem sie bereits verkaufte Autos zurückrufen, um sie sauberer zu machen. Aber nach dem Dieselgate-Skandal ist ihre Glaubwürdigkeit gering. Die Verkaufszahlen von Dieselautos sind schon seit Monaten im freien Fall, das Ende der Diesel-Ära ist nun wirklich in Sicht. ... So wie wir uns nicht mehr vorstellen können, dass in der Kneipe, im Restaurant oder im Büro geraucht wird, genauso wird der Dieselmotor von der Geschichte ausrangiert.“
Schluss mit der Gefälligkeitspolitik
Die Autoindustrie und Politiker müssen nun ihre Lehren aus dem deutschen Dieselurteil ziehen, fordert Expressen:
„Das Urteil sollte viele europäische Politiker zur Selbstkritik animieren. Sie haben die Autohersteller als zu wichtig angesehen, für Arbeitsplätze und die Wirtschaft. Und die Behörden müssen es erst noch wagen, hart gegen die Emissionen vorzugehen. Das jahrelange Wegschauen endete erst mit dem Volkswagen-Dieselskandal in den USA 2015. ... Das zeigt, welchen Bärendienst Europas Politiker der Autoindustrie mit ihrer Gefälligkeitspolitik erwiesen haben. Während die Welt saubere Autos fordert, stehen die europäischen Hersteller nun mit Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe da. Geld, das sie in schmutzige Modelle gesteckt haben, die sich jetzt keiner mehr zu kaufen traut.“
Gar nicht im Sinne des Klimaschutzes
Das Urteil ist irrational und populistisch, schimpft die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Soll Deutschland am Ende ohne Individualverkehr dastehen? Und soll die deutsche Vorzeigeindustrie mit ihren Millionen Arbeitsplätzen ruiniert werden? Die angeblich so gefährliche Technik gibt dazu keinen Anlass. ... Das bezüglich Autolobbyismus unverdächtige Umweltbundesamt erwartet, dass in Deutschland im Jahr 2020 mehr Feinstaub durch Zigaretten, Feuerwerk und Grillen entsteht als durch alle Personenwagen. ... CO2 steht im Zentrum des in Paris ratifizierten Klimaschutzplans. Für dessen Einhaltung spielt der sparsame Diesel eine entscheidende Rolle. Seine Verbrennung ist effizienter, Verbrauch und CO2-Ausstoß liegen deutlich unter dem eines Benziners. Dieselfahrzeuge von den Straßen zu verbannen, wäre also eine Sabotage des Klimaschutzplanes.“
Wird das Urteil zur Innovationsbremse?
Und die Tageszeitung Financial Times fürchtet, dass jetzt einer veralteten Technologie zu viel Zeit und Geld gewidmet werden muss:
„Das Urteil könnte weitreichende Konsequenzen haben, nicht nur in Deutschland, der Heimat von Volkswagen, BMW und Daimler. Die Autohersteller könnten gezwungen sein, durch Nachrüstung teurer Hardware die Stickstoffdioxid-Emissionen von Millionen von Autos zu verringern. ... Das würde bedeuten, dass einige der größten Arbeitgeber Europas Milliarden in eine veraltete Technologie investieren, während sie sich strategisch und finanziell eigentlich auf eine neue Generation elektrisch getriebener oder selbstfahrender Fahrzeuge konzentrieren sollten.“
Kein Grund für Mitleid mit Autobauern
An den drohenden Dieselverboten sind die Autohersteller selbst Schuld, meint die Tageszeitung Kurier:
„Auf den ersten Blick wirkt das Urteil der Verwaltungsrichter kräftig überzogen. Die Stickstoffdioxid-Belastung ist in Deutschland seit 1995 nämlich kontinuierlich gesunken. Und das deutlich - im innerstädtischen Bereich um ein Drittel. Auf den zweiten Blick haben sich die Autohersteller das Urteil allerdings großteils selbst zuzuschreiben. Ihr Krisenmanagement nach dem VW-Abgasskandal war schlicht katastrophal. Sie haben sich in Europa arrogant darauf verlassen, dass ihnen die eng verbandelte Politik zur Hilfe eilt. So kamen sie mit billigen Software-Updates davon, obwohl es die Technologie zur Abgasreinigung mittels Harnstofftanks längst gäbe.“