Frauentag 2018: Stimmt die Art des Protests?
Er ist ein Tag des Widerstands: Vor über hundert Jahren demonstrierten Frauen in Europa und den USA am 8. März, dem Weltfrauentag, um das Wahlrecht für sich einzufordern. Auch 2018 gingen vielerorts in Europa Frauen auf die Straßen, Italien und Spanien gehörten zu den Ländern mit besonders großen Protestaktionen.
Verpasste Chance für echten Frauenprotest
In Italien haben am gestrigen 8. März die Gewerkschaften dazu aufgerufen, mit einem Generalstreik, für die Gleichberechtigung und gegen häusliche Gewalt zu protestieren. Für die katholische Universitätsdozentin Alessandra Smerilli haben die Frauen noch nicht ihre eigene Sprache des Protests gefunden. Sie schreibt in Avvenire:
„Der Streik im Namen der Frau war von sehr traditionellen und männlichen Mitteln und Ausdrucksformen bestimmt. ... Die Frauen, die besonders häufig öffentliche Verkehrsmittel benutzen, wissen eigentlich, dass ein solcher Streik nicht das zum Ausdruck bringen kann, was sie am Frauentag sagen wollen. Ich bin mir sicher: Hätten wir uns in einem Akt deliberativer Demokratie geübt und zu Hunderttausenden oder Millionen entschieden, wie wir unsere Stimme am 8. März erheben wollen, hätten wir neue Ausdrucksformen gefunden.“
Ohne Druck kein Fortschritt
Gleichberechtigung muss gerade in Krisenzeiten erkämpft werden, lobt eldiario.es die spanischen Proteste:
„Die Strategie, Gleichberechtigungsfragen unter dem Vorwand von Wirtschaftskrise und Haushaltsdefizit hintenanzustellen, ist von 8M [der Bürgerbewegung unter anderem gegen die Sparpolitik] überrollt worden. Die überwältigende Mehrheit der Frauen widersetzt sich dem männlichen Versuch, die Genderpolitik mit einem zufriedenen 'Mission erfüllt' abzuhaken. ... Die Frauen erinnern an eine offensichtliche Wahrheit, die wir während der mörderischen Sparpolitik gerne verdrängten: Chancengleichheit fällt weder vom Himmel, noch bekommen wir sie aus den Händen der Mächtigen. Ohne Mobilisierung und organisierte Aktionen gibt es keinen gesellschaftlichen Fortschritt.“
Gehirnwäsche beginnt schon früh
Studien zufolge sind 19 - 20 Millionen türkische Frauen nicht berufstätig. Eine Tragödie, meint die Onlineplattform Artı Gerçek:
„Von klein auf bürdet man den Frauen die Lasten des Haushalts auf: Altenpflege, Sorge für die Geschwister, Putzen, Kochen, Einkaufen. Als Arbeit zählt das nicht, denn man impft der Frau ein, dies seien ihre natürlichen Aufgaben. ... Ein Viertel der Bevölkerung lebt wegen seines Geschlechts in einer Art Leerlauf! ... Mit ihrer Familien- und Bildungspolitik sorgt die Regierung für Unwissenheit bei den Mädchen, wodurch wiederum die Zahl der Zwangsheiraten und sehr frühen Ehen gestiegen ist. Auch Gewalt und Missbrauch werden so gefördert. ... Doch egal, welche Quelle oder Studie Sie sich anschauen, klar ist: Wenn Frauen mehr und gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen, steigt auch das Wohlfahrtsniveau des Landes.“
In Russland bleiben Frauen Freiwild
Auch in Russland steht es schlecht um die Achtung der Frauen, meint Publizist Ilja Milstein in einem Kommentar für die zensierte Internetzeitung grani.ru, den newsru.com wiedergibt. Er verweist auf den Fall des Duma-Abgeordneten Leonid Slutzki, dem Belästigung von Journalistinnen vorgeworfen wird:
„Nur weil man jenseits des Ozeans offenbar für Belästigung hart bestraft wird, heißt das noch lange nicht, dass auch bei uns der Typ des lebenslustigen Slutzki zu Boden geworfen, auf ewig mit Schande bedeckt und in eine Art unglücklichen Weinstein verwandelt würde. Im Gegenteil. Seine Kollegen werden sich in die Hände spucken und ihn schulterklopfend loben. ... Sagte nicht einmal unser nationaler Führer und Trendsetter, 'wir alle beneiden' einen gewissen Präsidenten [den früheren israelischen Staatschef Mosche Katzav], der 'zehn Frauen vergewaltigte'? Was also werfen wir einem einfachen Ausschussvorsitzenden in der Duma vor? Der Mann liegt im Trend!“
Berufs- und Rollenbilder gehören zusammen
Nicht nur Frauen profitieren von einer Gleichstellung der Geschlechter, erklärt die Wiener Zeitung:
„Vielleicht würden mehr Männer in Kindergärten und Volksschulen arbeiten, wenn die Arbeit adäquat bezahlt - und damit wertgeschätzt - wäre. Dann würden Kinder auch nicht ausschließlich unter Frauen aufwachsen - unter Müttern in Karenz oder Teilzeit und Pädagoginnen. Dann könnten auch Männer in Karenz oder Teilzeit gehen - wenn es die Familie finanziell nicht belastet. Das hätte maßgebliche Konsequenzen für die Berufs- und Rollenbilder, nähme Männern die oft alleinige finanzielle Versorgungslast und brächte allen eine gerechtere Verteilung der Pflichten und Freuden von Familie und Arbeit. Die Gleichstellung von Mann und Frau - es geht hier nicht um die Aufhebung der Unterschiede, sondern um die Gleichheit der Chancen - ist eine enorme Bereicherung für eine Gesellschaft.“
Wann wird Parität zur Norm?
Damit Gleichberechtigung Realität wird, muss sie zuerst zur Pflicht werden, unterstreicht Schriftstellerin Berna González Harbour in El País:
„Der 8. März ist ein Erfolg. Jetzt aber gilt es, sich auf den 9. März zu konzentrieren. ... Das Gleichberechtigungsgesetz gibt es bereits, und die Gleichheitspläne der Unternehmen spiegeln sich in den Tarifverträgen wieder. Aber nichts davon wird eingehalten. Man schaue nur auf die Diskrepanz bei den Gehältern und die gläserne Decke, die nach wie vor der Entfaltung von Frauen im Weg stehen. Nur ein echter Zwang zur Parität wird das ändern können.“