Auf wen kann sich die Ukraine 2025 verlassen?
Am Rande des in Brüssel tagenden EU-Gipfels haben sich am Mittwochabend Nato-Generalsekretär Mark Rutte und mehrere europäische Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen. Ruttes Aussagen zufolge sei es darum gegangen, wie man Kyjiw "in eine Position der Stärke" bringen könne. Wo diese Stärke herkommen soll, fragt sich Europas Presse.
Volle Unterstützung, auch in Europas Interesse
Europa muss nun Verantwortung übernehmen, fordert La Stampa:
„Der einzige wirkliche Tagesordnungspunkt ist, wie sich Europa in Erwartung eines wahrscheinlichen Rückzugs der Trumpschen USA aus der Ukraine (und anderswo) stärker in Kyjiws Verteidigung einbringen kann. Dies bleibt sowohl in einem Szenario, in dem Trump und Wladimir Putin einen (wenn auch instabilen) Waffenstillstand erreichen, als auch in einem lang anhaltenden Krieg die Kernfrage. In beiden Fällen werden Zehntausende von Soldaten benötigt, ebenso wie Munition, Raketen, Luftabwehrsysteme und echte Sicherheitsgarantien aus Europa. ... Die Ukraine wird sich weiterhin verteidigen, so gut sie kann. Es ist nicht nur richtig, sondern auch in unserem Interesse, dass sie dies mit unserer vollen Unterstützung tut.“
Wer mitreden will, muss auch etwas einbringen
Welche Rolle die EU bei möglichen Friedensgesprächen spielen kann, fragt sich Trouw-Kolumnist Stevo Akkerman:
„Die EU hat keinen militärischen Arm, um welche Länder geht es dann? Ich nehme an, nicht um russisch-gesonnene Länder wie Ungarn oder die Slowakei. ... Wer am Tisch sitzen will, muss auch bereit sein mitzumachen bei der plötzlichen europäischen Friedensmacht, sonst hat man ja nichts einzubringen. Doch diese Macht gibt es ja gar nicht. ... Und was macht Trump dann? Ist Europa vorbereitet auf eine militärische Rolle ohne die USA? Was ich sehe, ist: Der alte Kontinent wankt.“
EU muss sich an neue Rolle gewöhnen
Als Analyst der litauischen Militärakademie kommentiert Gintautas Razma in LRT:
„In militärischen Begriffen ausgedrückt ist die Nato als Organisation ein 'Nutzer von Streitkräften' (engl. force user), während die Mitgliedstaaten als 'Bereitsteller von Streitkräften' (engl. force providers) fungieren. Das Verständnis, dass die Nato keine eigenen Streitkräfte hat, sondern nur bereitgestellte Kräfte nutzt, ist von entscheidender Bedeutung. Es lässt sich argumentieren, dass die EU früher oder später auch die Rolle eines 'Planers von Streitkräften' (engl. force builder) übernehmen wird. Je schneller dies erkannt wird, desto schneller kann die EU ihre Ressourcen für den Ausbau militärischer Fähigkeiten mobilisieren.“
Akute Bedrohung
Traditionell gibt der dänische Militärgeheimdienst FE zum Jahresende einen Bericht zur Bedrohungslage heraus, der Jyllands-Posten dieses Jahr Sorgen bereitet:
„Es fahren chinesische und russische Schiffe durch unsere Gewässer und verhalten sich – seltsam. FE spricht von der erhöhten Gefahr der Sabotage, die eine wirksame Waffe ist, um eine Form des Krieges gegen andere zu führen. Allein die durch die Sabotagedrohung erzeugte Angst ist eine wirksame Waffe. ... Russland, China und Nordkorea sind ein grässliches Gegnertrio, nicht zuletzt, weil der Westen derzeit mit politischen Krisen in Deutschland und Frankreich und der Unsicherheit über die künftige Rolle der USA in der Nato konfrontiert ist. In dieser Situation fehlt es daran, den schönen Worten über Verteidigung auch Taten folgen zu lassen.“
In den USA liegen die Pläne schon bereit
Wie sich Washington, bisher der größte Waffenlieferant der Ukraine, positionieren wird, lässt sich schon erahnen, heißt es bei Radio Europa Liberă:
„Trumps Vertrauensmann ist Keith Kellogg, ein pensionierter US-Generalleutnant, der Trumps Vizepräsidenten schon in der ersten Amtszeit beriet. In einem viel zitierten politischen Dokument, bei dem er vor den US-Wahlen im November Mit-Autor war, schlug Kellogg vor, die Fronten einzufrieren und sowohl Anreize als auch Druck einzusetzen, um Kyjiw und Moskau zu Verhandlungen zu zwingen. Kyjiw kann man unter Druck setzen, indem man die Lieferung der US-Waffen einstellt. Moskau könnte man unter Druck setzen, indem man mehr Erdöl auf die Weltmärkte bringt, um die Preise zu senken und damit Moskaus Einnahmen zu schmälern.“
Mit Trump könnte der Durchbruch gelingen
Trud hofft auf auf Änderung nach dem Machtwechsel in Washington:
„Es ist an sich schon ein Erfolg, dass in den Wochen nach den US-Wahlen zum ersten Mal ernsthaft über einen Waffenstillstand und die Möglichkeit von Verhandlungen gesprochen wird. ... Es wird immer deutlicher, dass ein Krieg bis zur Unendlichkeit für keine der beiden Seiten eine Option ist. Die Ukraine wird ohne ausländische Hilfe nicht überleben, und Russland gerät in eine immer stärkere internationale Isolation, was sich unweigerlich sehr negativ auf das Land auswirkt. Jetzt, wo Trump an die Macht kommt, scheint der richtige Zeitpunkt zu sein, den Krieg zu beenden.“