Slowakei: Hat neue Regierung eine Chance verdient?
Die vom Mord an dem Investigativreporter Ján Kuciak erschütterte Slowakei bekommt am heutigen Donnerstag eine neue Regierung. Der bisherige Premier Robert Fico, der vergangene Woche unter dem Druck der Straße zurückgetreten war, wird durch seinen Parteifreund Peter Pellegrini ersetzt. Dass dies die Lage beruhigen kann, ist für Kommentatoren nicht ausgemacht.
Mehr kann die Straße jetzt nicht durchsetzen
Die neue slowakische Regierung sollte jetzt auch eine Chance bekommen, meint Lidové noviny:
„Wenn Opposition und Demonstranten nun weiterhin auf sofortigen Neuwahlen beharren sollten, wäre das unfair und auch nicht vernünftig. Die Regierung Pellegrini wird vom Parlament mit großer Wahrscheinlichkeit das Vertrauen ausgesprochen bekommen. Neuwahlen bergen das Risiko, dass Fico erneut siegt und seine Legitimität zurückerhält. Zur Beruhigung der Lage und zur Erneuerung des Vertrauens in die Politik können auch andere, ebenso legitime Wege führen. Der erfolgversprechendste jedoch ist, der Regierung eine Chance zu geben und sie zu drängen, sich der Leichen anzunehmen, die sie noch im Keller hat.“
Es geht um eine neue politische Kultur
Skeptisch äußert sich die Chefredakteurin von Sme, Beata Balogová:
„Wenn jemand in der Regierungspartei meint, das Feuer der lodernden politischen Krise sei gelöscht, irrt er sich gründlich. Den Kampf um neues Vertrauen der Gesellschaft, nach der Ermordung von Ján Kuciak und seiner Verlobten, hat diese Partei noch gar nicht begonnen. Präsident Andrej Kiska ging in seinem Drängen, eine Veränderung nicht nur zu simulieren, bis an die Grenze seiner Möglichkeiten. Die Regierungspartei spielt auf Zeit, hofft, dass ein großer Teil der Gesellschaft seine Forderung nach Anstand in der Politik aufgeben wird, so wie das schon in der Vergangenheit passierte. Bleibt zu hoffen, dass das Land diesmal alle Entscheidungen der Regierung genau verfolgt. Und auch, in wessen Interesse sie diese Entscheidungen trifft.“
Geht Orbán als Nächstes?
Die Zivilgesellschaft ist in manchen Ländern weit fortschrittlicher als ihre Regierung, kommentiert die Tageszeitung Kurier den Rücktritt:
„Freie Medien und aufgebrachte Bürger ließen ihm keine Chance. Die Zivilgesellschaft in den ehemals kommunistischen Nachbarländern ist weiter, als es die Machthaber, von Ungarns Orbán bis zu Polens Kaczyński, wahrhaben wollen. … Die Regierungen in unseren Nachbarländern haben darauf gesetzt, dass volle Bäuche und neue Autos auch den Hunger nach Demokratie und Freiheit stillen würden. Das ist aber nicht so. Der Slowake Robert Fico ist der erste, der das zur Kenntnis nehmen musste. Ungarns Orbán führt weiter den Kampf gegen den liberalen Rechtsstaat, auch weil er nicht über die Korruption in seinem Land reden will. Noch mit Erfolg. Wie lange noch?“
Bloße Augenwischerei
Ungeachtet seines Rücktritts wird Fico der starke Mann der slowakischen Politik bleiben, unkt Új Szó:
„Dies ist beileibe noch nicht der Weg zu einer ehrenwerten Slowakei. Schließlich wird Robert Fico als Vorsitzender der größten Regierungspartei weiterhin das Land nach seinem Willen lenken, jetzt eben aus dem Hintergrund. Der neue Premier, Peter Pellegrini, fungiert als nette Schaufensterpuppe. ... Und was noch schlimmer ist: Weil Fico vordergründig den Kopf hingehalten hat, können nun die unteren Ebenen der Regierungspartei Smer, wegen deren Mafiaverbindungen die ganze Krise ja entstanden ist, aufatmen: all jene regionalen Smer-Politiker, die mithalfen, dass genau jene italienische Mafia in der Ostslowakei Fuß gefasst hat, die mutmaßlich hinter dem Mord an Ján Kuciak und Martina Kušnírová steckt.“
Causa Kuciak noch nicht abgeschlossen
Dem stimmt auch El Mundo zu und fordert die EU auf, sich stärker einzumischen:
„Obwohl von den EU-Behörden gefordert, hat es noch immer keine echten, unabhängigen Ermittlungen gegeben, um die Hintergründe aufzuklären. Fico verlässt zwar die vorderste Front, behält aber im Hintergrund weiter die Fäden in der Hand. Die Slowakei ist heute ein schwarzes Loch, in dem die bürgerlichen Freiheiten verschwinden. Die EU kann das nicht dulden.“