Ausweis-Posse: Britischer Pass, made in France
Da hatten sich die Brexit-Anhänger so auf die neuen britischen Pässe - nicht mehr bordeauxrot, sondern blau - gefreut. Und nun das: Die neuen Ausweise sollen von der französisch-niederländischen Firma Gemalto in Frankreich produziert werden, und nicht, wie in den vergangenen Jahren üblich, von einem heimischen Unternehmen. Ein gefundenes Fressen für die Presse.
Ironie des Schicksals
Eine Produktionsentscheidung von hoher Symbolkraft, höhnt Corriere della Sera:
„Es sollte ein Meilenstein des Brexit sein: die Rückkehr zum traditionellen britischen Pass, dunkelblau, an Stelle des verschmähten bordeauxfarbenen EU-Ausweises. Eine Geste der 'Unabhängigkeit und Souveränität', wie May gerne unterstrich. Doch nun entdeckt man - Ironie des Schicksals -, dass der 'Pass des Brexit' in Frankreich hergestellt wird. ... Auch wenn viele Brexiteers versuchen, den EU-Austritt in global-britischem Licht zu sehen, so ist er für genauso viele ein Aufruf, die 'Zugbrücken hochzuziehen', ein Aufbegehren der Anti-Deglobalisierung, eine Sehnsucht nach einem England und einer Welt, die es nicht mehr gibt. Der blaue Pass 'Made in France' erscheint in dieser Hinsicht als das richtige Gegengewicht, das uns an die Unlösbarkeit der zeitgenössischen Bande erinnert. Parbleu!“
Eine unpatriotische Entscheidung
Der Auftrag hätte trotz möglicher Mehrkosten an eine britische Firma vergeben werden sollen, klagt The Daily Telegraph:
„Bei Konservativen gibt es oft ein Spannungsfeld zwischen Sparsamkeit und nationalem Stolz. Angesichts der Bedeutung des Reisepasses in der Brexit-Debatte hätte sich in diesem Fall der Patriotismus durchsetzen müssen. Wir wissen alle, was Frankreich tun würde. Das Land hat ein gesetzliches Monopol für die Herstellung seiner Ausweise. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich Frankreich stets als das Zentrum der EU gesehen, aber gleichzeitig bedenkenlos die Regeln der Union oder mit den Prinzipien des freien wirtschaftlichen Wettbewerbs gebrochen hat. Großbritannien wiederum hat sich seit seinem Beitritt zum Binnenmarkt stets bitter über unerwünschte EU-Einmischung beklagt und dennoch immer sklavisch alle Auflagen erfüllt.“
Nervige Doppelmoral der Brexit-Fans
Warum der Aufschrei, sonst haben die EU-Gegner doch auch kein Problem mit dem Ausverkauf staatlicher Interessen, kritisiert New Statesman:
„Marktfreundliche Konservative wie Ex-Ministerin Priti Patel finden nichts dabei, dass staatliche Firmen anderer europäischer Länder britische Eisenbahnunternehmen besitzen oder die Energieversorgung des Landes gewährleisten. ... Es gibt zwei schlüssige und konsequente Haltungen in dieser Frage. Eine ist, dass der Vertrag [für die Pässe] in Übereinstimmung mit den Regeln des Marktes an den billigsten Bieter vergeben werden sollte. Die andere, dass wichtige nationale Infrastrukturen in Staatshand bleiben sollten. Doch die Position der Brexit-Befürworter - mal wirtschaftsliberal, mal protektionistisch - offenbart die ideologische Verwirrung, in die der EU-Austritt die konservative Partei gestürzt hat.“