Referendum zu Abtreibungen: Zeitenwende in Irland?
Per Verfassung sind Abtreibungen in Irland verboten. Am heutigen Freitag stimmen die Bürger darüber ab, ob dies geändert wird. Laut Umfragen liegen die Befürworter der Liberalisierung, für die auch Regierung und Parlament werben, in Führung. Kommentatoren skizzieren die Stimmung vor dem Referendum und beschreiben, wie ein einst zutiefst katholisch geprägtes Land seine Werte neu überdenkt.
Jüngste Menschen verlieren Recht auf Leben
Wenn das Abtreibungsverbot fällt, kann das Parlament künftig mit einfacher Mehrheit über Leben und Tod entscheiden, warnt Kolumnistin Breda O’Brien in The Irish Times:
„Ich glaube, dass jeder und jede das Recht auf Leben haben sollte, ob es sich beim Vater um einen Vergewaltiger handelt oder nicht. Doch ich weiß, dass es möglich ist, die Verfassung so zu ändern, dass Abtreibungen in besonders traumatischen Fällen wie Vergewaltigungen gesetzlich erlaubt werden können. Wenn wir jedoch nun dafür stimmen, den [achten] Zusatzartikel zur Verfassung zu streichen, werden wir nie wieder die Chance bekommen, darüber abzustimmen. Wir werden in der Verfassung das Recht der Politiker festgeschrieben haben, an unserer Stelle zu entscheiden. Gleichzeitig werden wir den jüngsten Menschen das Recht auf Leben geraubt haben und darauf, jemals selbst etwas entscheiden zu können.“
Moralischer Kompass wird neu ausgerichtet
Irland scheint sich vom letzten Relikt seiner katholischen Vergangenheit zu verabschieden, glaubt der dort lebende Journalist Mario Danneels in De Morgen:
„Es macht Hoffnung, dass eine Graswurzel-Kampagne die Befürworter unterstützt, dass die Yes-Buttons, -Pullis und -Taschen dominieren, dass Personen, die Nein-Literatur verteilen, entweder sehr verloren wirken oder fast schon mit Pech und Schwefel aus den Einkaufsstraßen verjagt werden. Und sehr auffällig: Die größte religiöse Einmischung kommt aus Amerika. Die Rolle der irischen Kirche in der Kampagne war zu vernachlässigen. Sie hat offensichtlich eingesehen, dass ihre Rolle ausgespielt ist.... Viele Iren finden, dass es in diesem Referendum nicht nur um Abtreibung geht, sondern auch um den moralischen Kompass des Landes. Sie wollen, dass der nun ein für alle Mal auf das Heute ausgerichtet wird.“
Ein tief gespaltenes Land
Die irische Gesellschaft steht vor einer Grundsatzentscheidung, macht Index deutlich:
„Föten, die trotz schwerer Entwicklungsstörungen zum Leben gezwungen werden, bis zum Ende forcierte lebensgefährliche Schwangerschaften, die mit dem Tod enden. Aber auf der anderen Seite auch Kinder, die nur wegen der strengen Regeln geboren wurden, glückliche Familien. Ein tief gespaltenes, aber immer liberaleres Land stimmt darüber ab, ob es 2018 noch ein hartes Abtreibungsgesetz haben will, das sich an der immer unwichtigeren katholischen Kirche orientiert, das strengste in Europa. ... Egal, wie das Ergebnis ausfällt, eines ist sicher: Weder das Thema noch die tiefe Spaltung der Gesellschaft werden verschwinden. Und auch die Abtreibungen nicht, mit ihren durchschnittlich zehn 'Abtreibungstouristinnen' pro Tag (die nach England fahren).“
Auch die Kirche kann ihre Haltung ändern
Erst seit Papst Pius IX. im Jahr 1869 wird Abtreibung in der katholischen Kirche mit Ausschluss bestraft, merkt Göteborgs-Posten an und hofft, dass sich diese Einstellung irgendwann wieder ändert:
„Es ist ausgezeichnet, dass Irland eine Volksabstimmung über Abtreibungen abhält. Der nächste Schritt ist hoffentlich, dass es zu einer Debatte über die konkrete Ausformung der Abtreibungsgesetzgebung kommt. Man sollte sich in katholischen Ländern, die von der Vorstellung geprägt sind, dass Abtreibung in jedem Fall strafbar sein muss, daran erinnern, dass diese Ansicht relativ jung in der fast 2000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche ist. Auch religiöse Einstellungen zur Abtreibung können sich ändern. Das ist notwendig, wenn das Leben von Frauen gerettet werden soll.“
Abtreibungsverbote gefährden Frauenleben
Restriktive Gesetze verhindern keine Abtreibungen, führen aber dazu, dass Frauen ihre Gesundheit riskieren, erklärt Ann Starrs, Vorsitzende des US-Thinktanks Guttmacher Institute für reproduktive Gesundheit, in The Daily Telegraph:
„Jedes Jahr gibt es weltweit geschätzte 25 Millionen unsichere Abtreibungen - obwohl es sich um einen einfachen und sicheren Eingriff handelt, wenn er ordentlich durchgeführt wird. Die meisten Fälle unsicherer Abtreibungen gibt es in Ländern mit strengen Abtreibungsgesetzen. Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen bedeutet nicht, dass es diese dann nicht gibt. Doch es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf unsichere Weise durchgeführt werden. In der Tat belegen Studien, dass Abtreibungen in Ländern, in denen sie verboten oder streng geregelt sind, genauso oft vorkommen, wie in Ländern, in denen sie im Großen und Ganzen legal sind.“
Lasst uns für Irland beten
Der katholische Priester Tomasz Jaklewicz drückt in Gość Niedzielny seine Hoffnung aus, dass die Iren beim Abtreibungsverbot bleiben:
„Wenn die Iren in dem Referendum für eine Aufhebung des rechtlichen Schutzes des Lebens stimmen, wird das ein bitteres Symbol, das i-Tüpfelchen für den raschen Säkularisierungsprozess der grünen Insel. ... Wir sollten am Freitag für die Iren beten, damit sie an ihre große Tradition im Kampf gegen die Zivilisation des Todes anknüpfen und sich für die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer jüngsten Bürger aussprechen.“
Abtreibungsverbot ist grausam
Das derzeit geltende Abtreibungsverbot ist eine unzulässige Einmischung in die Privatsphäre von Frauen, kritisiert Kolumnist Gene Kerrigan in The Irish Independent:
„Die Pro-Life-Bewegung hat Kindern und Frauen, die vergewaltigt und schwanger wurden, nichts zu bieten. Und was ist im Fall einer Frau, die weiß, dass der Fötus in ihr bestenfalls so lange überleben wird, bis er daran scheitert, eigenständig den ersten Atemzug zu machen? Auch da verlangen die Abtreibungsgegner, dass die Betroffene die Schwangerschaft nicht abbricht. ... Es gibt in der Geschichte des irischen Staats keine andere Maßnahme, die sich in einer Privatangelegenheit derart einmischend, autoritär und grausam auswirkt wie das Abtreibungsverbot in der Verfassung.“
Bitte keine deutschen Zustände
Dank moderner pränataler Diagnostik würde es in Irland wie in Deutschland vermehrt zu Abtreibungen im Falle einer Behinderung kommen, wenn das Verbot fällt, warnt Kolumnistin Breda O'Brien in The Irish Times:
„Stellen wir uns vor, eine Frau entscheidet sich, in der zehnten Schwangerschaftswoche einen so genannten nicht-invasiven pränatalen Test durchzuführen. Einige Firmen versprechen ein Testergebnis innerhalb von fünf Tagen. Weil der Test mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit korrekt ist, entscheidet sich die Frau für eine Abtreibung - ohne das begründen zu müssen. ... Vor der letzten deutschen Bundestagswahl fragte eine Jugendliche mit Down-Syndrom namens Natalie Dedreux Angela Merkel, warum in Deutschland neun von zehn Babys mit Down-Syndrom abgetrieben werden. Merkel war das sichtlich unangenehm, sie wusste keine Antwort. Auch wir werden keine haben, wenn das Abtreibungsverbot fällt.“