Westbalkan: Aussicht auf EU-Beitritt bleibt vage
Die EU hat auf dem Westbalkangipfel in Sofia weitere Anstrengungen von den (potenziellen) Beitrittskandidaten Serbien, Montenegro, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Mazedonien gefordert. Im Gegenzug versprach sie Infrastrukturmaßnahmen und mehr Geld. Kommentatoren wägen ab, wie hoch die Beitrittschancen der sechs Länder sind und erklären, was Russland damit zu tun hat.
Nur Russland könnte Prozess beschleunigen
Allein geopolitische Notwendigkeiten würden den Beitrittsprozess am Westbalkan voranbringen, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Tatsächlich hat der politische Einfluss von Russland in den orthodoxen Teilen des Balkans und jener der Türkei bei den Muslimen in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen. Wirtschaftlich sind mit China und den arabischen Staaten ebenfalls neue Akteure präsent. Es ist diese neue Konstellation, welche die EU dazu veranlasst hat, sich in Sofia in Erinnerung zu rufen – aber gleichzeitig die 'Partner' sorgsam auf Armeslänge zu halten. Damit sich dies ändert, müsste geopolitisch Grundlegendes geschehen. Die Prognose sei gewagt: Ohne ernstzunehmende russische Bedrohung, die nach einer realpolitischen Neubeurteilung riefe, werden die sechs Staaten im Westbalkan EU-Partner bleiben und nicht Mitglieder der Union werden. “
Schwarzes Loch zwischen Kroatien und Griechenland?
Die EU schadet sich nur selbst, wenn sie den Beitritt der Westbalkanstaaten immer weiter hinauszögert, warnt die Süddeutsche Zeitung:
„Schließlich ist die EU längst nicht die einzige Kraft, die auf dem Balkan präsent ist. Russland, die Türkei und auch China zeigen zunehmend Flagge, sichern sich Zugriff auf Märkte, investieren in die Infrastruktur und bauen ihren politischen Einfluss aus. Die EU-Erweiterung in Richtung Balkan ist also kein Gnadenakt, sondern eine geopolitische Notwendigkeit, wenn es die EU ernst meint mit ihrem Anspruch auf eine friedliche Vereinigung des Kontinents. Als Alternative dazu droht im schlimmsten Fall ein schwarzes Loch zwischen Kroatien und Griechenland, das unter dem Einfluss verschiedener äußerer Mächte und bedroht vom inneren Zerfall für permanente Instabilität sorgt. Neue Kriege wären möglich, neue Flüchtlingsströme wahrscheinlich.“
Streitschlichten klappt nicht mal bei Mitgliedern
Aufgrund der vielen Streitigkeiten zwischen den einzelnen Westbalkanstaaten wird der Erweiterungsprozess auch nach dem Gipfel weiter stocken, glaubt Večer:
„Der nächste derartige Gipfel ist bereits geplant. Er wird während des EU-Ratsvorsitzes Kroatiens im Jahr 2020 stattfinden. Doch müssen die Westbalkanstaaten den Großteil der Arbeit schon selbst erledigen. Die Probleme zwischen Serbien, Bosnien und Kroatien, zwischen dem Kosovo und Serbien, sowie zwischen Albanien und Mazedonien, werden sich nicht von selbst auflösen. Die EU müsste helfen. Doch dass sie das nicht kann, zeigt das Beispiel des Schiedsabkommens zur Grenze zwischen Slowenien und Kroatien. Und hier handelt es sich um ein Problem zweier Staaten, die bereits EU-Mitglieder sind.“
Erfolg dank bulgarischer Ratspräsidentschaft
Auf ganzer Linie zufrieden mit dem Gipfel ist 24 Chasa:
„Der Westbalkan hat Unterstützung für den künftigen EU-Beitritt zugesichert bekommen, ebenso zehn Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte. Wo neue Infrastruktur entsteht, entstehen auch neue wirtschaftliche Verbindungen. ... Europa hat in Sofia Geschlossenheit gezeigt und eine starke Botschaft an die USA gesendet: Dass wir in der Weltpolitik nicht die zweite Geige spielen werden. Zu guter Letzt sind sich [Mazedoniens Premier] Zoran Zaev und [sein griechischer Amtskollege] Alexis Tsipras im Namensstreit [um Mazedonien] ein Stück näher gekommen. All das macht das Gipfeltreffen in Sofia und die gesamte bulgarische Ratspräsidentschaft zu einem Erfolg.“