Ist Putin der große Gewinner der WM?
Fifa-Präsident Infantino hat von der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland als der besten WM aller Zeiten gesprochen. Wladimir Putin erklärte, die Welt habe endlich erlebt, dass sie ein falsches Bild von Russland habe. Doch nicht alle Kommentatoren sind davon überzeugt, dass das Turnier zum Propaganda-Erfolg für den russischen Präsidenten wurde.
Kein Platz für Politik und Probleme
Für Corriere del Ticino fand die WM in einer Blase statt:
„Mit dem Sieg Frankreichs und dem Fest im Luschniki-Stadion ging eine Weltmeisterschaft zu Ende, die, wie Gianni Infantino tönte, 'schöner denn je' war. Die Narration des Fifa-Präsidenten ist zweifelsohne übertrieben und das Ergebnis seiner sehr engen Verbindung zu Russland und insbesondere zu Wladimir Putin. Politik und Probleme hatten in der Blase, die sich um die WM und alle ihre Protagonisten stülpte, keinen Platz. Mit keinem Wort wurden Putins Gegner und die vielen inhaftierten Journalisten erwähnt, noch die mit Füßen getretenen Menschenrechte und die ukrainische Frage. Der russische Präsident hat sein Spiel gewonnen. Mit einer perfekt gelungenen WM und getragen von einem allgemeinen Konsens kann er nun Donald Trump empfangen.“
Russland musste gar nicht siegen
Für den Journalisten Pierre Haski gab die WM ein verstörendes Bild ab, wie er in L'Obs schreibt:
„Es ist das Spiegelbild einer neuen Welt, in der diejenigen, die die internationale Ordnung stören, überleben und sogar aufblühen können. Man muss sagen, dass Wladimir Putin auch davon profitiert, dass sich das auflöst, was man einst den 'Westen' genannt hat. Er hat selbst dazu beigetragen, indem er seine Position durch die Einmischung in Wahlprozesse gestärkt hat. ... Neben Donald Trump, dessen unangebrachtes Verhalten die 'Alliierten' letzte Woche erleben konnten, kann Wladimir Putin sich als ein Vorbild der Stabilität und Vorhersehbarkeit präsentieren. Er braucht gar keinen Sieg des russischen Teams: Er hat schon gewonnen.“
Fußball kittet keine Brüche
Dass die WM ein Propaganda-Erfolg für Putin sein soll, kann De Volkskrant hingegen nicht nachvollziehen:
„Die Befürchtung des Westens bewahrheitete sich nicht, auch weil Putin sich kaum sehen ließ, anders als der argentinische Diktator Videla 1978. Daher wurde die WM auch eher zur Propaganda für die russische Bevölkerung, die normalen Russen, die nach den unerwarteten Siegen ihrer Nationalmannschaft mit ansteckender Siegerlaune feierten und sich verbrüderten mit Fans aus dem Rest der Welt. ... Jetzt, nach der WM, wird die Geopolitik zurückkehren und werden sich Russland und der Westen wieder gegenüberstehen. Nationale oder internationale Bruchlinien verschwinden nicht durch ein paar Fußballspiele.“
Jetzt müssen wir wieder gehorchen
Das WM-Intermezzo ändert nichts an der repressiven Atmosphäre in Russland, bemerkt Nowaja Gazeta:
„Der Staatsmacht war es wichtig, während der WM die Illusion einer offenen, freien und wohlmeinenden Gesellschaft zu zeichnen, die mit offenen Armen Gäste empfängt. Man muss ihr zugestehen, dass ihr das hervorragend gelungen ist. Doch es wurde auch demonstriert, dass unsere Herzlichkeit exakte Grenzen hat. Man darf trinken und feiern, so viel man will. Aber sobald man sich auch nur eine politische Geste oder Aussage erlaubt, bekommt man sofort auf die Hände oder gar die Zähne eingeschlagen. … Die Menschen im Land sind keine Idioten, sie wissen nur zu gut: Das Fest hat ein Ende und die Mexikaner reisen ab. Und wir haben es wieder mit Behörden zu tun, die nur ein Problem kennen: Wie lässt sich das Maximum aus der Bevölkerung herausmelken und dabei deren Gehorsam und Demut bewahren?“
Hohe Messlatte für Katar
Entgegen aller Bedenken hat Russland eine hervorragende Fußball-Weltmeisterschaft veranstaltet, bilanziert El Mundo:
„Die WM-Logistik funktionierte einwandfrei. Erstens, weil es keine nennenswerten Probleme gab, vor allem in Bezug auf die Sicherheit: Es ist zu keinen Aggressionen oder Auseinandersetzungen zwischen gegnerischen Fans gekommen. Zweitens wegen des sinnvollen Einsatzes neuer Technologien, die sich, wie der Videobeweis, bewährt haben, um den Fußball zu modernisieren. Und drittens waren die Stadien, in die die russische Regierung 3,4 Milliarden Euro investierte, hoch funktional. ... Katar wird die erste WM austragen, die im Winter und mit kurzen Distanzen stattfindet. Die Fifa steht nun in der Pflicht, eine Meisterschaft zu garantieren, die in Bezug auf Organisation, Sicherheit und Zuschauerzahl an die russischen Standards anknüpfen kann.“