Wie sinnvoll ist ein Smartphone-Verbot an Schulen?
In Frankreich gilt ab dem neuen Schuljahr ein Handyverbot an Schulen. Internetfähige Geräte sind dann an den meisten Schulen nicht mehr erlaubt, Lycées (ab Klasse 10) sollen eigenständig entscheiden können, ob sie ein Verbot verhängen. So soll die Konzentration der Schüler im Unterricht erhöht werden. Auch Wissenschaftler und Journalisten sehen den Einfluss von Smartphones auf unser Leben kritisch.
Selbstbestimmung braucht analogen Freiraum
Die Allgegenwärtigkeit von Smartphones sieht die Tageszeitung Die Welt kritisch und spricht sich für ein Verbot an Schulen aus:
„Smartphones sind der größte Freilandversuch, der je mit Menschen durchgeführt wurde. Wir können förmlich dabei zusehen, wie sie uns abhängig machen, mit Trivialitäten vom Wesentlichen ablenken und unsere Konzentrationsfähigkeit fundamental beschädigen. Der deutsche Buchmarkt ist genau zu dem Zeitpunkt eingebrochen, als das Smartphone ein Massenphänomen wurde. Gerade um jungen Leuten wenigstens den Rest einer Chance auf Widerstandsfähigkeit und Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter zu lassen, brauchen sie zuallererst einen analogen Freiraum. Ob es ihnen passt oder nicht.“
Neue Transparenz ist gläsernes Gefängnis
Die Kommunikation in sozialen Medien verändert unsere Beziehung zur Welt, konstatiert der Professor für Management Christophe Assens im Interview mit Le Figaro:
„Mit dieser Form der Kommunikation will man sein Ego in Szene setzen. Die Bildkultur siegt über die Schriftkultur. Wenn man sich diese Logik zu eigen macht, geht man das Risiko der Entpersonalisierung ein: Die Form wird immer wichtiger, der Inhalt weniger wichtig. Deswegen werden die Identitäten tendenziell immer glatter, steriler und uniformer. ... Diese Veränderungen bieten aus meiner Sicht Anlass zur Beunruhigung: Indem wir alle der gleichen Plattform beitreten, auf der jeder jeden überwacht, sind wir dabei, ein neues Dogma einzuführen, das Dogma der Transparenz. Doch Transparenz baut ein Gefängnis aus Glas. Darin sperrt man das Denken ein, das Bewusstsein und die Ideen.“
Unmündige vor ihren Bildschirmen
Durch die Benutzung von Smartphones verfällt die Gesellschaft in Infantilität, meint der Soziologe Simon Gottschalk in Postimees:
„Smartphones sind auf den Moment gerichet, auf Impulsivität und den Wunsch nach ungebrochener, schneller Befriedigung. ... Unabhängig davon, ob wir die Geräte zur Arbeit oder zum Spaß benutzen, begünstigen sie unsere Neigung zur Unterwerfung. ... Mit ihrer aggressiven Weise unsere Privatheit durch Überwachung zu verletzen, nehmen die Geräte uns die Mündigkeit. Dieses kindliche Ethos kann man für lustig halten, doch besonders in Zeiten der gesellschaftlichen Krisen und Ängste wirkt es anziehend. ... Die demokratische Politik verlangt jedoch Debatte, Kompromisse und kritisches Denken. ... Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie die infantile Gesellschaft autoritären Machthabern folgt.“
Nicht nur Kinder müssen erzogen werden
Wenn Erwachsene etwas am Verhalten von Kindern ändern wollen, müssen sie es selbst vorleben, fordert Politiken:
„Die Lösung kann nicht allein im Klassenzimmer liegen. Solange Erwachsene überall mit ihren Telefonen in der Hand herumstehen, wird es unmöglich sein, dass Kinder und Jugendliche dem nicht nacheifern. Anstatt sich nur auf die Jugend zu konzentrieren, muss es Aufgabe für die ganze Gesellschaft sein, den Handygebrauch zu steuern. Das gilt für die Eltern, die auf dem Spielplatz ihre Nase ins Telefon stecken, das gilt für die Touristen, die lieber Selfies machen, als den Ort zu erleben, an dem sie gerade sind, und das gilt für die Arbeitgeber, die erwarten, dass ihre Mitarbeiter immer erreichbar sind. Das Smartphone ist gekommen, um zu bleiben und hat ein enormes Potential. Aber es ist an der Zeit, dass wir es kontrollieren – und nicht umgekehrt.“
Abschalten ist keine Technophobie
Mit weniger Bildschirm lebt es sich besser, meint die Gymnasiallehrerin für Philosophie, Marianne Murano, in Le Monde:
„In Wirklichkeit leben wir nicht in einer Welt mit Bildschirmen, mit Handys und mit smarten Geräten, wir leben in der Welt der Bildschirme, Handys und smarten Geräte. ... Abschalten, das ist keine Technophobie, im Gegenteil. Es bedeutet, Gegenstände zu fördern, die richtig für den Menschen sind und ihm dienen. Abschalten heißt nicht, sich zu isolieren, im Gegenteil. Es bedeutet, ein Netzwerk zu gestalten, das nicht virtuell ist, ein wirklich soziales Netzwerk. Abschalten bedeutet nicht, in seinem Leben nicht mit der Zeit zu gehen, im Gegenteil. Es bedeutet, sich Zeit zu nehmen, um zu leben.“
Smartphones machen schlau
Gegen ein generelles Handyverbot an Schulen argumentiert allerdings die Direktorin des Hugo-Treffner-Gymnasiums aus Tartu, Aime Punga, in Eesti Päevaleht:
„Smartphones und Tablets werden auch im Unterricht benutzt. Das Problem besteht darin, dass die Nutzung nicht immer zielgerichtet ist, sondern auch Nebensachen gemacht werden. Damit muss man sich auseinandersetzen. ... Natürlich verursachen diese Geräte Probleme mit Aufmerksamkeit und Konzentration, diese Sorge kann man aber nicht mit repressiven Mitteln wie Verboten lösen. Die Parallele zum Verkehr passt hier gut, wo Smartphones auch trotz Verbot benutzt werden. Die Schule unterscheidet sich nicht vom Leben. Die negativen Seiten der Geräte sollten nicht dazu führen, dass wir den Schülern den Zugang zu all den Informationen verbieten, die diese ermöglichen.“