Missbrauch: Reicht die Abbitte des Papstes?
Papst Franziskus hat bei seinem Besuch in Irland am Wochenende Misshandlungen und Missbrauch von Kindern und Frauen durch katholische Geistliche verurteilt. Vielen Opfern ging die Bitte um Vergebung jedoch nicht weit genug. Kommentatoren bestehen auf umfassende Aufklärung und fordern, dass sich die Kirche an die Spitze eines gesellschaftlichen Wandels stellt.
Chance auf gesellschaftlichen Wandel
Die Kirche sollte beim Kampf gegen Missbrauch vorangehen, meint der Deutschlandfunk:
„Zur Wahrheit gehört auch, dass die allermeisten Missbrauchsfälle immer noch in Familien geschehen. Dass zum Beispiel viele Sportverbände ein eher unterentwickeltes Bewusstsein für das Thema haben. Kinder und Jugendliche vor potentiellen Tätern zu schützen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch wegen des Aufschreis über die Skandale in Einrichtungen der katholischen Kirche hat sich viel getan in Irland, in Deutschland oder in den USA. ... Und auch in Rom wurden die Regeln im Umgang mit den Fällen verschärft. ... Es gibt beim Thema Missbrauch nur Verlierer - aber die katholische Kirche hat eine Chance: Sie könnte sich an die Spitze des gesellschaftlichen Wandels setzen, der einer Kultur, in der Missbrauch möglich ist, eine klare Absage erteilt.“
Entscheidender Test für Franziskus' Pontifikat
Mit einer Entschuldigung bei den Missbrauchsopfern ist es nicht getan, mahnt The Irish Times:
„Papst Franziskus scheint es mit seiner Bitte um Vergebung ernst zu meinen. Doch nichts kann den angerichteten Schaden wiedergutmachen, und Worte allein sind nicht genug. Die Kirche wird zeigen müssen, dass sie es mit der Ausmerzung von Missbrauch und bei der Veränderung der Kultur, die diesen ermöglicht hat, ernst meint. Dazu zählen neue Untersuchungen, Wiedergutmachung und die Übergabe von Akten. Das muss für die Opfer, aber auch für alle praktizierenden Katholiken in Irland und in anderen Teilen der Welt getan werden, die sich von der Kirche betrogen fühlen, die sie lieben und ehren. ... Dies ist der entscheidende Test für Franziskus' Pontifikat.“
Leid der Opfer nicht vergessen
Für wen die Reise des Papstes am brisantesten war, erklärt der Historiker und Vatikan-Experte Alberto Melloni in La Repubblica:
„Nicht für Franziskus war die Reise nach Irland schwierig. Sie war es vielmehr für die vielen Mädchen und Jungen, die sexuellen Missbrauch anprangerten (rund 1.300 seit den 1970er Jahren) und für die unbekannte Zahl derer, die zur Verwüstung ihres Lebens durch die Vergewaltigung eines Priesters schwiegen. ... Premier Leo Varadkar, der erste irische Politiker, der seine Homosexualität öffentlich machte und erfolgreich für eine egalitäre Ehe kämpfte, wollte dieses Leid in Erinnerung rufen. Deshalb lud er Papst Franziskus nach Dublin ein.“
Schweres Geschütz gegen den Papst
Erzbischof Carlo Maria Viganò hat Franziskus öffentlich beschuldigt, Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal McCarrick seit 2013 zu kennen und ignoriert zu haben. Die Anschuldigungen könnten Franziskus ernsthaft gefährden, glaubt Vatikan-Korrespondent Daniel Verdú in El País:
„Die Vorwürfe, die Viganó in einem 11-seitigen Brief formuliert, sind gravierend. Sollten sie sich bestätigen, brächten sie den Papst in eine äußerst delikate Lage. ... Seine Glaubwürdigkeit beim Thema Missbrauch würde darunter extrem leiden. Dass Viganó eine Schlüsselperson im kircheninternen Kampf gegen Papst Franziskus ist - gerade nahm er an einem Treffen von Prälaten teil, die in einem Hotel in Rom über den richtigen Moment debattierten, wann man einem Papst den Gehorsam verweigern sollte - verringert die Sprengkraft der Anschuldigungen nicht.“