Zinsstreit: Setzt sich türkische Notenbank durch?
In der Lira-Krise hat die Zentralbank in Ankara am Donnerstag den Leitzins von 17,75 auf 24 Prozent erhöht - deutlicher als von vielen Experten erwartet. Kurz zuvor hatte Erdoğan erneut eine Zinssenkung gefordert und die Zentralbank kritisiert. Kommentatoren fragen sich, wie unabhängig die Währungshüter wirklich sind und ob sie sich gegen den türkischen Präsidenten langfristig behaupten können.
Zinslobby fährt vermeintlichen Sieg ein
Seinem Ärger über die Entscheidung der Notenbank macht Journalist Melih Altinok in der regierungstreuen Sabah Luft:
„Gestern hat die Zentralbank getan, was man [externe Akteure] von ihr verlangte. ... Jetzt sind diejenigen, die sich vollkommen idiotisch über den Begriff 'Zinslobby' lustig machten, positiv gestimmt. Einige unter ihnen sagen sogar, die Zentralbank habe 'ihre Mündigkeit unter Beweis gestellt'. Ich hoffe, dass diejenigen, die den Zins anheben wollen, indem sie auf den hohen Dollar verweisen, zum letzten Mal lachen. Denn jeder Punkt, um den der Zins angehoben wird, senkt die Investitions-, Beschäftigungs- und Wachstumsraten - oder anders gesagt, er gefährdet die Zukunft der Türkei und auch die der Zentralbank.“
Ein riskantes Spiel
Eine nur scheinbar unabhängige Zentralbank macht die Situation noch riskanter, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Das ist nicht unsere Krise, sagt Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei sei das Opfer von 'Manipulationen'. ... Kurz darauf tat die türkische Zentralbank, was sie tun musste: Sie erhöhte die Zinsen - und zwar weit kräftiger als erwartet. ... Was die Währungshüter verfügten, wollte Erdoğan unbedingt vermeiden. Der Präsident hält Zinsen für die Ursache allen Übels. Das Doppelspiel zwischen Bank und Präsident ist bemerkenswert. Der Präsident sagt kurz vor der Zinsentscheidung, dass er anderer Meinung ist, dann darf die Bank zeigen, dass sie unabhängig ist. Das ist ein riskantes Spiel. Denn an der türkischen Krise ist vieles hausgemacht, wenn auch in der Tat nicht alles. Es ist das politische System, das die Wirtschaft schwächt.“
Türkisches Widerstandsnest bleibt nicht verschont
Dass sich Präsident Erdoğan bald auch die Zentralbank vorknöpft, glaubt Der Standard:
„Zwar ist die türkische Zentralbank formal unabhängig, doch hat sich der Staatschef das Recht ausbedungen, den obersten Währungshüter im Alleingang zu bestellen. Wie lange Erdoğan das Widerstandsnest noch dulden wird, ist derzeit unklar. Die Notenbank hat schon öfter den Zorn des Sultans auf sich gezogen. Dieser ist Staats-, Militär- und - seit kurzem - Staatsfondschef und hat in den letzten Monaten enge Verbündete an jede erdenkliche Schaltstelle gesetzt. Es wäre ein kleines Wunder, würde die Notenbank vom Größenwahn des angeschlagenen Machthabers verschont bleiben.“