Beendet May den Brexit-Streit der Tories?
Auf dem Tory-Parteitag in Birmingham hat Premierministerin May ihren Brexit-Kurs verteidigt: Wenn die Partei sie nicht unterstütze, übernehme entweder Labour die Macht oder der EU-Austritt finde gar nicht statt. Einige Kommentatoren hat Mays dynamischer Auftritt davon überzeugt, dass sie den Brexit zu einem guten Ende führen wird. Andere glauben, dass das nicht in ihrer Macht liegt.
May hat noch immer das Ruder in der Hand
Die Chancen stehen gut, dass die britische Premierministerin den Brexit-Prozess zu Ende bringen kann, meint das Handelsblatt:
„Ihr Erzrivale Boris Johnson mag der Basis aus dem Herzen sprechen, wenn er warnt, das stolze Königreich unterwerfe sich auf Dauer der EU. Aber das Ruder hat immer noch die Premierministerin in der Hand. In Birmingham wurde bestätigt, dass die Brexit-Hardliner nicht zahlreich genug sind, um sie zu stürzen und eine Kursänderung zu erzwingen. Viele einfache Parteimitglieder sind die Brexit-Debatte so leid, dass sie froh sind, wenn überhaupt irgendein Deal zustande kommt. Aus EU-Sicht ist dies beruhigend. Mit May lässt sich verhandeln.“
Pragmatismus setzt sich durch
Die Parteimitglieder haben sich letztlich von Mays vernünftigen Argumenten überzeugen lassen, beobachtet Der Standard:
„Geschickt nahm die 62-Jährige die Konservativen in die Pflicht als Partei von Disziplin, Pragmatismus und Patriotismus. Der von anderen angestrebte Brexit, so suggerierte May, mag perfekter sein als ihre Variante; nur sie aber könne garantieren, dass es Ende März tatsächlich zum EU-Austritt kommt. Das leuchtet vielen ein. Was die Regierungschefin der überwiegend EU-feindlichen Partei nicht sagen konnte: In Wirklichkeit würden Johnsons Ideen Großbritanniens Verlässlichkeit als Verhandlungspartner infrage stellen und in noch größerem Schaden für die Insel und den Kontinent enden als ohnehin zu erwarten.“
Dancing Queen lebt in einer Traumwelt
Begleitet vom Abba-Song Dancing Queen und tanzend betrat May die Bühne in Birmingham. Ihre Beschwingtheit findet De Morgen unangebracht angesichts der harten Realität:
„Ihr Schicksal hängt zum größten Teil ab von Brüssel. In der Rede zeigte sie sich außergewöhnlich optimistisch über die Gespräche mit der EU. Ihrer Ansicht nach ist es möglich, weiter Handel zu treiben, den von ihr so gehassten freien Verkehr von Personen einzuschränken, Freihandelsabkommen mit dem Rest der Welt zu schließen und Nordirland im Königreich zu halten. 'Dream world, you've been living in a dream world', würden europäische Führer ihr wohl antworten. Frei nach Abba.“
Harter Brexit immer wahrscheinlicher
Und auch Hämeen Sanomat ist nach diesem Parteitag wenig optimistisch, was die Austrittsverhandlungen mit der EU betrifft:
„Es sieht nicht gut aus. Zu viele Fragen sind noch offen und die Verhandlungslinie von Premierministerin Theresa May wird auch von den eigenen Leuten kritisiert. Aus Verzweiflung ist sogar schon eine Verlängerung der Verhandlungen ins Spiel gebracht worden. May hat die berechtigte resolute Linie der EU für die Verzögerungen verantwortlich gemacht, während Großbritannien sich aus Sicht der EU nur die Rosinen herauspicken möchte. Ein harter Brexit, also ein EU-Austritt ohne Abkommen, wird eine immer größere und realistischere Gefahr.“
Johnson beeindruckt mit konservativer Vision
Der Einzige, der auf diesem Parteitag überzeugt hat, war Ex-Außenminister und May-Rivale Boris Johnson, findet The Daily Telegraph:
„Niemand sonst schafft es, die wesentlichen Grundzüge des Konservatismus so zu artikulieren, dass damit Wähler weit über die traditionellen Hochburgen der Partei hinaus erreicht werden. Boris Johnson wird ja oft vorgeworfen, dass es ihm an detaillierten Vorschlägen fehlt. Doch er erinnerte das Publikum an seine Erfolge als Londoner Bürgermeister und präsentierte eine Reihe radikaler Konzepte, die die amtierenden Regierungsmitglieder bei ihren Beiträgen vermissen ließen. Darüber hinaus brach Johnson eine Lanze für jene, die Wohlstand schaffen, und für die Marktwirtschaft, indem er den Schatzkanzler aufforderte, nach dem Brexit die Steuern zu senken.“