Warum verzichtet die EU auf Strafe gegen Rom?
Die EU-Kommission und Italien haben ihren wochenlangen Streit über die Haushaltspläne der Regierung in Rom beigelegt. Das Land will die Neuverschuldung nun auf 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen. Einige Kommentatoren loben die Entscheidung Brüssels, auf ein Defizitverfahren verzichtet zu haben. Andere kritisieren, dass das Einlenken der EU an der Glaubwürdigkeit des Stabilitätspakts kratzt.
Brüssels geschickte Strategie
Dass die EU-Kommission auf ein Defizitverfahren verzichtet, ist eine kluge Entscheidung, kommentiert der Deutschlandfunk:
„Denn was wäre passiert, wenn Brüssel den Römern die Rote Karte gezeigt hätte? An den Plänen Italiens hätte sich dadurch gar nichts geändert, die populistische Regierung hätte jedoch den perfekten Prügelknaben bekommen. ... Stattdessen hat die EU-Kommission die Gelbe Karte gezückt und klargemacht, dass Italien endlich damit beginnen muss, hausgemachte Probleme selbst zu lösen und die Schuld nicht ständig bei anderen zu suchen. Das bringt im stolzen Italien definitiv mehr als nur der erhobene Zeigefinger. In einem Jahr - nach den Europa-Wahlen - kommt dann die Stunde der Wahrheit. Dann wird die italienische Regierung beweisen müssen, dass sie mit ihren Rechenspielen richtig lag.“
Stabilitätspakt besser gleich schreddern
Mit dem Kompromiss im Haushaltsstreit hat die EU die Stabilitätskriterien für den Euro aufgegeben, kritisiert Der Standard:
„Es ist nicht allzu lange her, da stand die Eurozone wegen des Hochschnellens der Verschuldung in Griechenland, Spanien, Italien und anderen Ländern vor dem Kollaps. Eine Verschärfung des Stabilitätspakts sollte gewährleisten, dass es nie wieder zu einer vergleichbaren Krise kommt. Und was macht Brüssel bei der nächstbesten Gelegenheit? Es gewährt dem Wackelkandidaten einen weiteren Fehltritt. Rom den Weg geebnet hat die EU-Kommission bereits mit der Ansage, dass ein Überschreiten des dreiprozentigen Defizithöchstwerts durch Frankreich toleriert werden könne. Der Grund für den Schlendrian liegt auf der Hand: Es ist Wahlkampf. Eine Konfrontation mit Brüssel könnte die Populisten stärken. Ehrlicher wäre es, den Stabilitätspakt gleich zu schreddern.“
EU konnte nicht anders handeln
Der gesamteuropäische Kontext zwang Brüssel zum Einknicken, analysiert in ähnlicher Weise La Vanguardia:
„Die Zugeständnisse der französischen Regierung gegenüber den Gelbwesten trugen entscheidend dazu bei, die anfängliche Härte gegenüber Italien aufzuweichen. Den unterschiedlichen Umgang hätte man nur schwer erklären können. Auch die für Mai geplanten Europawahlen legten eine größere Flexibilität nahe, um das vorhersehbare Anwachsen der europaskeptischen, populistischen und rechtsextremen Parteien in Grenzen zu halten. Am Ende steht allerdings das Fazit, dass die Probleme zweier europäischer Länder mit höherer Staatsverschuldung gelöst wurden, obwohl die in der EU ohnehin zu hoch ist. Den Ländern im Norden, einschließlich Deutschland, passt das überhaupt nicht.“
Wirtschaft und Bürger zahlen die Zeche
Der Haushaltsstreit hat Italien leider eine Stange Geld gekostet, wettert La Repubblica:
„Mit ihren zufriedenen Reaktionen tut die Regierung so, als wäre in den 83 Tagen nichts geschehen. ... Als ob in der Zeit zwischen der fröhlichen Ankündigung der Überschreitung des Defizits und der unrühmlichen Umkehr die italienische Wirtschaft still der Dinge geharrt hätte, ohne unter den Folgen der unnötig verlorenen Zeit zu leiden. Jetzt, da Defizit und BIP wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt sind, den die Techniker des Finanzministeriums von Anfang an vorgegeben hatten, erkennen wir, dass sich seit jenem 27. September viel verändert hat - und zwar zum Schlechten für unsere Wirtschaft. Das Tauziehen mit Brüssel war für die Regierung offenbar nur ein Scherz. Doch die Folgen für den Staat, die Unternehmen und die Familien sind alles andere als witzig.“
Salvinis zynische Rhetorik
Die Art und Weise, wie Italiens Regierung die Korrektur des Haushalts als Erfolg verkauft, ist eine Unverschämtheit, ärgert sich Jutarnji list:
„Vor acht Wochen kommentierte Vizepremier Matteo Salvini noch ironisch die 'Briefchen' aus Brüssel und hat sie mit Post an den Weihnachtsmann verglichen. ... In knapp zwei Monaten haben reale Wirtschaftsfaktoren die Regierung in Rom, wenigstens auf dem Papier, zur Vernunft gebracht. Man hat Abstand genommen von nebulösen Schätzungen des Wirtschaftswachstums, den Haushalt um zehn Milliarden Euro gestutzt und mal eben den Wert der Staatsanleihen korrigiert. ... Und schamlos kommentierte Salvini gestern, dass der Haushalt nach der Polemik [gegen die EU] sogar noch besser sei.“