Wie gefährlich ist Italiens neuer Haushalt?
Mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2019 will Italiens Regierung den Sozialstaat ausbauen. Unter anderem soll damit ein Bürgergeld für Bedürftige und ein früherer Renteneintritt bezahlt werden. 2020 und 2021 soll das Defizit geringer ausfallen. Rom fordert die EU heraus, die beim Zwist über Italiens Schuldenpolitik nur verlieren kann, meinen Kommentatoren.
Brüssel auf verlorenem Posten
Gegen den Populismus der italienischen Regierung ist die EU machtlos, meint Newsweek Polska:
„Seit langem weiß man, was die größten Probleme der italienischen Wirtschaft sind: ein zu unflexibler Arbeitsmarkt, zu viel Regulierung, zu hohe Steuern für Firmen. Dass ein extrem ineffektiver Staat nun die Ausgaben erhöht, ersetzt nicht die erforderlichen Reformen und wird Italiens Stagnation nicht beenden. Das ist nicht die letzte Schlacht zwischen Brüssel und Rom um den Haushalt. ... Doch schon die erste Auseinandersetzung hat Brüssel verloren. Wenn die EU-Kommission zuschlägt, verkünden Italiens Populisten, dass sie Opfer der Brüsseler Bürokratie sind, was bis jetzt eine erfolgreiche Taktik war. ... Doch auch wenn die Kommission tatenlos bleibt, gewinnt Rom.“
Haushaltsplan ist Teil einer Strategie
Mit dem geplanten Haushalt verfolgt die italienische Regierung einen perfiden Plan, analysiert Jutarnji list:
„Italien überschreitet die erlaubte Grenze, um die Kosten für die Wahlversprechen der regierenden Parteien zu finanzieren. ... Beide Vizepremiers, Matteo Salvini und Luigi Di Maio, kündigten an, ihren Kurs beizubehalten, egal was Europa sagen oder unternehmen wird. ... Es wird nun eine Zeit des Zanks folgen, in der Italiens Regierung wohl zu verheimlichen versucht, dass der geplante Haushalt nicht machbar ist, weil selbst das erhöhte Defizit nicht ausreicht. Dann wird man für die unerfüllten Versprechen die Brüsseler Bürokraten und 'Trinker' aus Brüssel verantwortlich machen, um so viele Punkte wie möglich für die souveränistischen Stimmen bei der EU-Wahl zu sammeln.“
Bürgergeld wird zum Überwachungsinstrument
Vizepremier Di Maio erklärte am Mittwoch, dass das von der Regierung geplante Bürgergeld über eine elektronische Karte vergeben wird und nur "moralisch vertretbare" Ausgaben autorisiert werden. La Stampa nimmt diese Aussage kritisch unter die Lupe:
„Überspitzt gesagt: Es bedarf der Zustimmung der Regierung, damit sich ein armer Mann von seinem Bürgergeld ein Glas Wein leisten kann. ... Die Komplexität eines Apparats, der das Recht auf ein Grundeinkommen von Millionen von Menschen überprüfen und ihr Ausgabeverhalten kontrollieren soll, verspricht nichts Gutes für die individuellen Freiheiten. Ganz abgesehen davon, dass ein solcher Mechanismus nicht von heute auf morgen auf die Beine gestellt werden kann. Es wird Monate dauern, bis seine Auswirkungen sichtbar werden und noch viel länger, bis er vollständig einsatzfähig ist.“
Rom will Euro-Ausstieg provozieren
Mit dem Schuldenkurs der italienischen Regierung wird ein Euro-Austritt Italiens wahrscheinlicher, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„Bei den Noten für seine Qualität als Schuldner befindet sich Italien bereits im unteren Bereich der sogenannten Investitionsklasse. Weitere Herabstufungen könnten für zusätzliche Unruhe an den Finanzmärkten sorgen. Ein Beobachter des deutschen Vermögensverwalters Feri mutmasst bereits, das eigentliche Ziel der Regierung könnte sein, eine Verschärfung der Euro-Krise bewusst zu provozieren, um dann anschliessend einen Austritt aus dem Euro als 'alternativlos' zu verkaufen. So wäre das eigentliche Ziel der Populisten von Lega und Cinque Stelle erreicht. In jedem Fall geht von Italien als grossem Euro-Land nun eine erhebliche Ansteckungsgefahr aus, vor allem für andere südliche Länder der Europäischen Währungsunion.“
Reaktion der Märkte spricht Bände
Italiens Budgetbeschluss ist ein Lehrstück über schlechtes Haushalten, meint Le Figaro:
„Wirtschaft und Populismus passen selten gut zusammen. Nach den ersten Haushalts-Entscheidungen musste man nicht lange warten, bis man die Glaubwürdigkeit der Koalition aus Lega und Cinque-Stelle ermessen konnte. Die Zinssätze explodierten, es gab einen großen Wirbel an der Börse, die Banken stürzten ab. Es herrscht totales Misstrauen der Finanzmärkte - und damit der Gläubiger - gegenüber Rom. ... Die italienische Leidensgeschichte erinnert uns nützlicherweise daran, wo eine laxe Budgetpolitik und die Verschuldung um jeden Preis hinführt: zu einem gefährlichen Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit zugunsten der Märkte.“
Die letzte Hoffnung ist der Präsident
Präsident Sergio Mattarella kann den Budgetentwurf noch ablehnen, doch könnte das nach hinten losgehen, erörtert La Stampa:
„Die Nicht-Unterzeichnung des Haushaltsgesetzes seitens des Präsidenten würde einen beispiellosen Machtkampf nach sich ziehen. Das Problem ist, dass jeder formale Einwand das Narrativ, das den beiden Vizepremiers so am Herzen liegt, noch verstärkt: Dass sie die Helden des Volkes und Widersacher des Establishments sind. Die öffentlichen Finanzen werden aber erst dann sicher sein, wenn dem Konsens zugunsten verrückter Ausgaben ein anderer Konsens entgegengesetzt wird. ... Hier hat der Präsident der Republik einen Vorteil. ... Er ist der angesehenste Politiker des Landes. Damit sich die Menschen der Probleme und Gefahren komplizierter Dinge wie der Haushaltspolitik bewusst werden, muss ihnen jemand diese erklären. Jemand, dem sie vertrauen.“
Warum die EU Italien gewähren lässt
Die EU-Kommission behandelt Italien viel milder als andere EU-Länder, klagt Rzeczpospolita:
„Brüssel hat gegenüber der neuen Regierung in Rom eine deutlich andere Vorgehensweise an den Tag gelegt als im Falle Ungarns oder Polens. Es wurde so getan, als stünden die Pläne der neuen Regierung in Rom nicht im Widerspruch zur offiziellen Migrationspolitik der EU und stellten keine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität des Euroraums dar. Diplomatische Quellen in Brüssel haben dafür eine Erklärung: Italien kann gegenüber der EU größeren Druck ausüben als Warschau oder gar Budapest. Denn sollte die italienische Regierung all ihre Wahlversprechen einhalten - was zur Insolvenz des Landes führen könnte - wäre selbst Deutschland nicht in der Lage, es zu retten. Dies könnte das Ende der EU bedeuten.“