Haben die USA einen Plan für Syrien?
Die Differenzen zwischen der Türkei und den USA in der Syrien-Frage sind am Dienstag beim Besuch von US-Sicherheitsberater Bolton in Ankara deutlich zutage getreten. Die USA hatten den angekündigten Abzug verschoben, Bolton wollte "Sicherheitsgarantien" für die syrische Kurdenmiliz YPG, die Ankara als Terrororganisation bekämpft. Kommentatoren reflektieren über die Ziele Washingtons in Syrien.
Kurden nicht im Stich lassen
Die Kurden ungeschützt in Syrien zurückzulassen, wäre aus Sicht von The Times ein schwerer strategischer Fehler:
„Es würde ein verheerendes Signal an die Verbündeten der USA überall in der Welt schicken. Die USA rufen die Kurden dazu auf, nicht aufzugeben und auf Washingtons Fähigkeit zu vertrauen, Ankara zurückzuhalten. Doch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan steht vor Lokalwahlen im März, und daher wird davon ausgegangen, dass er den kurdischen Guerillakämpfern lieber früher als später einen schweren Schlag versetzen will, um sich beim Wahlvolk beliebt zu machen. ... Die US-Präsenz sollte ein strategisches Ziel haben, indem sie klar daran geknüpft wird, jegliche Chance auf ein Wiedererstarken des IS zu verhindern. Die Kurden haben bei diesem Bestreben Tausende Soldaten verloren. Sie haben Besseres verdient.“
Washington will Pufferzone gegen Türkei errichten
Boltons Beharren auf der Kooperation mit syrisch-kurdischen Kräften beweist erneut die wahren Ziele der USA in Nahost, erklärt İbrahim Karagül, Chefredakteur der regierungstreuen Tageszeitung Yeni Şafak:
„Der Syrienkrieg wurde nur für dieses Projekt begonnen. Er wurde nicht mit der Absicht begonnen, das syrische Volk vom Assad-Regime zu befreien. Sondern um eine Pufferzone, eine hunderte von Kilometer lange Front gegen die Türkei, zwischen der Türkei und der arabischen Welt, zu errichten. ... Daher hat die Türkei keine andere Wahl als den Einmarsch [ins kurdisch kontrollierte Gebiet] östlich des Euphrats. ... Damit wird die Türkei ihren Gegnern in der Region ebenso wie den 'Invasoren im Inneren' die richtige Antwort geben.“
Chaos mit schwerwiegenden Folgen
Der Schaden des Hin und Hers von Trumps Syrienpolitik ist beträchtlich, analysiert die Süddeutsche Zeitung:
„Viele Regierungen fragen sich, ob sie als nächste von einer der irrwitzigen Volten in Washington getroffen werden; Israel und Saudi-Arabien, Amerikas engste Verbündete, hofieren den Kreml. Iran hält gemeinsame Manöver mit Russland ab. Und der IS geht in den Untergrund, wie al-Qaida im Irak es erfolgreich vorgemacht hat. Das alles läuft den Interessen der USA ebenso zuwider wie denen Europas. Es steigt das Risiko, dass der IS sich reorganisiert. Es wächst die Gefahr eines regionalen Krieges gegen Iran; Libanon wankt ohnehin bedrohlich. Und Syrien wird nicht zu Frieden und Stabilität finden ohne eine umfassende politische Lösung, die Moskau und Washington, Riad, Teheran und Ankara mittragen.“
Bolton will Einigung mit Ankara verhindern
Der US-Sicherheitsberater John Bolton ist am heutigen Dienstag zu Syrien-Beratungen in Ankara. Dort wird er beim Thema Truppenabzug auf Zeit spielen, schätzt die regierungstreue Tageszeitung Sabah:
„Selbst wenn Trump will, wird sein Team alles versuchen, um diesen Abzug zu erschweren. Daher erwarten wir, dass diese Verhandlungen sehr zäh verlaufen werden. Bolton wird sich schwer tun. ... So wird er etwa lang und breit erklären, dass der Abzug nicht leicht sein werde. ... Er wird das Thema IS ansprechen. Nach den Russen fragen. Kurz gesagt wird er über alles, was es unter der Himmelskuppel gibt, verhandeln wollen. Er wird das Thema immer weiter zerstreuen. Denn er will, dass die Verhandlungen in eine Sackgasse laufen.“
Wie Trump doch noch helfen könnte
Als erfahrener Geschäftsmann könnte Trump Putin einen Tipp bezüglich des Wiederaufbaus in Syrien geben, findet Tygodnik Powszechny:
„Es entsteht ein Kastenstaat, in dem die Alewiten, Schiiten und Christen über den Sunniten stehen und in dem man sich der Regierung nur durch Korruption und Nepotismus nähern kann. ... Damit in so einer Situation Frieden herrschen kann, muss die Regierung Geld haben. Russland will nicht für den Wiederaufbau Syriens zahlen, dabei wird seine Position als strategischer Player in Syrien in den kommenden Jahren Milliarden Rubel kosten. Zumindest hier könnte Trump Syrien zum ersten Mal helfen. Zwar hat er sich als schlechterer Stratege als Putin erwiesen, aber als erfahrener Geschäftsmann könnte er ihn erinnern: Die Subventionierung erfolgloser Projekte endet in der Regel mit einem Flop.“