Missbrauchsgipfel im Vatikan: Wende oder Fiasko?
Zum Abschluss des viertägigen Krisengipfels im Vatikan hat Papst Franziskus ein Ende der Vertuschung angemahnt und mit harten Worten den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche angeprangert. Opferverbände zeigten sich von der Konferenz von fast 200 Geistlichen enttäuscht. Wie unterschiedlich das historische Treffen aufgenommen wird, zeigt auch der Blick in die Kommentarspalten.
Auf halbem Weg stehen geblieben
Nicht zufrieden mit dem Ausgang des Treffens der Bischöfe zeigt sich Pravda:
„Der Papst fand harte Worte, nannte Priester, die Kinder sexuell missbrauchen, Werkzeuge des Satans. Doch die Opfer erwarteten mehr: konkrete und wirksame Maßnahmen. Der Papst unterbreitete zwar 21 Vorschläge für den Kampf gegen solche Verbrechen. Aber die gehen nicht besonders weit. Bischöfe aus Deutschland, den USA oder Indien traten viel radikaler auf. Die Mehrheit aber wollte nicht über ihren Schatten springen. Am Ende akzeptierte der Gipfel im Vatikan kein verbindliches Dokument. Die Lösung des Problems wurde erneut vertagt.“
Bemerkenswerte Fortschritte
Über die Kritik der Missbrauchsopfer sollte man nicht die erzielten Fortschritte übersehen, ermahnt El Mundo:
„Wer unrealistische Hoffnungen hegt, wird leicht enttäuscht. Das ist denjenigen geschehen, die sich vom historischen Gipfel zum sexuellen Missbrauch sehr viel konkretere Ankündigungen vom Vatikan erhofft hatten. Aber es wäre ungerecht, zu ignorieren, dass man einen grundlegenden Schritt getan hat, um diese Schande anzugehen. ... Allein die Tatsache, dass der Papst 190 Kirchenobere versammelt hat, um das Thema ohne Umschweife anzusprechen und alle Bischofskonferenzen aufzufordern, eine Null-Toleranz-Politik zu verfolgen und jedes Indiz der Justiz zu übermitteln, ist ein bemerkenswerter Schritt in die richtige Richtung.“
Eine unüberbrückbare Kluft
Mit den zwei sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf die Konferenz beschäftigt sich De Volkskrant:
„Für all diejenigen, die in den vergangenen Jahren von einem Missbrauchs-Skandal nach dem anderen erfuhren, und für all die Missbrauchs-Opfer, die in den vergangenen Tagen auf dem Petersplatz demonstriert haben, war das Ergebnis vielleicht etwas mager. Für eine weltumfassende Institution, die Jahrhunderte alte Dogmen mit sich schleppt, war die Synode nichts weniger als eine Revolution. Die Kluft zwischen diesen beiden Perspektiven ist unüberbrückbar. Das ist das eigentliche Problem der Kirche.“
Franziskus zieht den Karren aus dem Dreck
El Mundo erkennt ein entschiedenes Handeln des Papstes:
„Seit langem, womöglich seit der Reformation, stand die katholische Kirche nicht vor solch einer gewaltigen Krise. ... Der Gipfel wird konkrete Maßnahmen gegen den Missbrauch beschließen, wie die verpflichtende Einführung von psychologischen Begutachtungen der Priester, die durch Fachleute durchgeführt werden. Auch soll es Richtlinien geben, die Opfer zur Erstattung von Anzeigen ermuntern und die Ermittlungen unterstützen. Franziskus war unmissverständlich, als er gestern dazu aufforderte, diese 'Plage' in der Kirche auszumerzen. Er geht Schritte, die man nur loben kann. Jetzt liegt es an den Bischofskonferenzen in der ganzen Welt, ebenso energisch zu handeln wie der Papst.“
Konferenz kann nur ein Anfang sein
Wenn die Kirche es wirklich ernst meint mit der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch, müssen hingegen auch Tabus gebrochen werden, fordert tagesschau.de:
„Die internen Strukturen der Macht gehören dazu, aber auch die Sexualmoral der katholischen Kirche. Wer Sexualität bei seinen Priestern und Bischöfen unterdrückt, provoziert Probleme. Solch grundlegende Diskussionen, die an den Wurzeln des Problems rühren, brauchen Zeit. Hier kann die Konferenz nur einen Anstoß geben. Aber wenn der Mut sichtbar wird, eine solche Diskussion auch im Vatikan zu führen, wäre das ein wertvolles Signal. Das Signal, dass es die katholische Kirche ernst meint - und diese Konferenz der Anfang sein will für wirkliche Veränderungen.“
Hierarchie ist das Problem
Wichtig ist es, endlich die strukturellen Ursachen für den Missbrauch zu erkennen, findet auch Dnevnik:
„Es handelt sich nicht um vereinzelte Exzesse, sondern um Probleme, die eine Folge der Hierarchie und des göttlichen Status der geweihten Personen und des damit verbundenen Machtmissbrauchs sind. ... Das alles im Rahmen der brüderlichen Solidarität, die sich mehr um die Täter als um die Opfer sorgt und auf die Opfer Druck ausübt, für das Ansehen der Kirche zu schweigen. Das Hinwegsehen über diese tiefen Probleme verhindert, dass man den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche auf die einzig wirksame Art bekämpft: Nämlich durch das Verstehen der Natur des sexuellen Missbrauchs, was auch ein Nachdenken über das Zölibat beinhaltet. Außerdem müssen die Verfahren völlig transparent und die Zusammenarbeit mit der Polizei ernstgemeint sein.“
Die Lehre kann nur "Nie wieder" sein
Eine historische Parallele zieht die Journalistin Maria Antonietta Calabrò in Huffington Post Italia, um die Relevanz der Konferenz im Vatikan zu verdeutlichen:
„Gleich dem Nürnberger Prozess, der einen Wendepunkt in der Geschichte markierte, mit dem 'Nie wieder', das die Nationen nach dem Krieg laut aussprachen, muss die katholische Kirche auf ihrem von Papst Franziskus gewünschten Gipfel eine Wende vollziehen. ... Die Kirche ist als Ganzes, mit ihren höchsten Vertretern, die nach Rom berufen wurden, aufgerufen, 'Nie wieder' zu sagen. Denn wenn es auch wahr ist, dass es seit Jahrzehnten weltweit Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch durch die Geistlichkeit gibt, so ist nicht minder wahr, dass kein Tag vergeht, an dem nicht Geschichten über Vertuschungen von pädophilen Priestern und Bischöfen enthüllt werden.“
Bitte keine vatikanischen Halbwahrheiten!
Für El Periódico de Catalunya ist klar, woran sich der Erfolg des Gipfels messen lässt:
„Die außergewöhnliche gemeinsame Deklaration aller - männlicher wie weiblicher - Ordensgemeinschaften, in der diese ihre Sünden anerkennen ('wir neigen unser Haupt voller Scham') lässt die Ausmaße des Problems erahnen und verdeutlicht die Dringlichkeit, endlich eine klare und deutliche Antwort von Seiten der Kirche zu erhalten. Der Gipfel wird zum Reinfall, wenn er nur zum Aufpolieren des Images dienen soll. Gefordert sind Radikalität, ein Schuldbekenntnis und selbstverständlich der Wille zur Besserung. Ein für alle Mal und ohne vatikanische Halbwahrheiten.“
Neue Ära in der katholischen Kirche?
Auch Observador hofft, dass das Treffen eine Zäsur markiert:
„Mit der Ausrichtung dieser Konferenz fühlen wir uns alle etwas weniger ungeschützt. Die Tatsache, dass es endlich einen internationalen Gipfel zu diesem Thema gibt, lässt uns glauben, dass sich etwas ändern wird. ... Es werden vier harte und abschreckende Tage sein, die eine neue Ära einleiten werden. … Die Straflosigkeit und das bisherige Schweigen konnten unmöglich weiter aufrechterhalten werden. ... Man kann nur hoffen, dass der Vatikan sich nach diesem Treffen zu einem entschlossenen Vorgehen gegen Missbrauch entscheidet und dass es ab sofort null Toleranz für Täter geben wird.“
Nun bedarf es echter Einsichtigkeit
Welche konkreten Maßnahmen von der viertägigen Konferenz zu erwarten wären, skizziert Jutarnji list:
„Erstens müssen alle Bischofskonferenzen und Männer- wie Frauenorden verstehen, dass es sich um ein ernstes Problem handelt, das die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche und ihrer evangelikalen Mission betrifft. Zweitens muss man die Kirche in Afrika und Asien davon überzeugen, dass Pädophilie keine Sünde oder Marotte des reichen Westens ist, sondern ein Krebsgeschwür überall in der katholischen Welt. Und dass es keine Rechtfertigung ist, falls sie auch in anderen Religionen und Organisationen stattfindet. Drittens sollten die Kriterien für die Diagnostizierung und Ausrottung des Problems überall harmonisiert werden.“
Franziskus ist nicht der richtige Papst dafür
De Volkskrant dämpft die Erwartungen:
„Papst Franziskus' Ideal ist es, eine Kirche zu führen, die von unten her aufblüht, und nicht eine, die aus Rom mit harter Hand geführt wird. Daher weigert er sich, den Bistümern Richtlinien oder Gesetze aufzuerlegen. Er will, dass die Bistümer selbst mit Richtlinien kommen. Dadurch scheint Franziskus nicht der richtige Papst zu sein, um die Missbrauchskrise zu lösen. Wenn in den vergangenen Jahrzehnten etwas deutlich geworden ist, dann ist es, dass Bistümer erst dann handeln, nachdem ein großer Skandal sie dazu gezwungen hat.“