Ankaras Waffenkauf in Moskau beschlossene Sache
Ankaras Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400 ist nach Auskunft Erdoğans unter Dach und Fach. "Es ist ein abgeschlossener Deal", sagte er am Mittwoch. Damit ist weiterer Streit mit Washington programmiert - auch deshalb, weil die USA die Türkei nun aus dem F-35-Kampfjetprogramm ausschließen wollen. Wie schwer wiegen die Spannungen zwischen den zwei Nato-Partnern?
USA wollen keine unabhängige Türkei
Die USA haben der Türkei keine andere Wahl gelassen, findet Milliyet:
„Ankara wollte ursprünglich eigentlich das US-Patriot-System kaufen. Aber auf den 2017 gestellten Antrag hat Washington erst 17 Monate später geantwortet! ... Ohnehin geht es für die USA nicht bloß darum, dass wir das Verteidigungssystem aus Russland kaufen. Ihr Hauptproblem ist, dass wir unabhängig von den Vereinigten Staaten solch eine Macht in der Region erlangt haben. Warum hielt Washington sonst die Türkei jahrelang hin, während es Patriots an Saudi-Arabien verkaufte? Ankara ist sich dem auf jeden Fall bewusst. Deswegen wollte es nicht bloß ein vom Westen abhängiges Verteidigungssystem besitzen. Vielmehr wollte es sich angesichts der sich verschärfenden Krise mit den USA breiter aufstellen. In unserer immer stärker multipolaren Welt muss die Türkei ihre Verteidigungsressourcen ohnehin dringend ausbauen.“
Eine militärische Katastrophe
Ankara schafft große Probleme bei seinen Nato-Partnern, warnt De Telegraaf:
„Der Kauf der S-400 zeigt, wie sehr sich die Türkei mehr und mehr dem westlichen Einfluss entzieht, müde ist von all dem 'Gemecker' über Menschenrechte und Demokratie. Diese Probleme hat man nicht, wenn man Geschäfte mit Putin macht. ... Militärisch gesehen ist der Beschluss des Nato-Mitglieds auch eine Katastrophe. Luftverteidigung ist eine Kombination aus Raketen, bemannten Kampfflugzeugen und Radaren. Ein Fremdkörper sorgt dann für eine potenzielle fatale Verzögerung, falls er überhaupt vollständig in das Verteidigungssystem eingegliedert werden kann. Schlimmer noch: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Russen über die S-400 innerhalb der Verteidigung der Nato spionieren können.“
Erdoğans doppeltes Spiel
Wie es mit der Türkei in der Nato überhaupt weitergehen kann, fragt sich Zeit Online:
„Das Nato-Kollektiv hat kein Prozedere, um unliebsame Mitglieder rauszuwerfen. Ankara müsste schon selbst austreten. Doch das zeichnet sich nicht ab. Möglich ist, dass die Türkei zum Mitglied ohne Wert, zur strategischen Karteileiche verkümmert. Möglich aber auch, dass Erdoğan weiter in der Nato mitredet, ordentlich poltert, streitet und späht, während er das informelle Bündnis mit Russland ausbaut. Das wäre sicherlich Wladimir Putins Wunschlösung.“
USA muss multipolare Welt akzeptieren
Erdoğans Vorgehen bedeutet nicht gleich, dass die Türkei dem Westen den Rücken kehrt, kommentiert Daily Sabah:
„Die USA müssen sich von ihren Ängsten vor einer vermeintlich russisch-türkischen Bedrohung befreien. Die Furcht vor einer russischen Invasion ist eine veraltete Haltung aus Zeiten des Kalten Kriegs. Auch wenn es immer wieder Spannungen zwischen den USA und Russland geben kann, ist die Welt nicht mehr die gleiche. Sie ist nicht mehr bipolar, sondern multipolar, und die Türkei möchte sich durch multilaterale Beziehungen einen Platz darin verschaffen.“
Nur ein symbolisches Geschäft
Viel zu viel Wirbel wird nach Ansicht von Kolumnist Fatih Altaylı um den Kauf der russischen Raketen gemacht. Er schreibt in Habertürk:
„Ich sage, dass die S-400, die wir von Russland kaufen, höchstwahrscheinlich nicht in der Türkei ankommen werden. Ich sage, es ist eher wahrscheinlich, dass sie auf einem russischen Stützpunkt nahe der Türkei aufgebaut werden und von dort aus das Kernkraftwerk in Akkuyu schützen. Ich sage, falls sie doch in die Türkei geliefert werden, dann werden sie höchstens irgendwo in einem Depot gelagert und niemals einsatzbereit gemacht. Ich sage, damit hätten wir den Preis für den russischen Flieger, den wir abgeschossen haben, bezahlt. Und ich sage, wir hätten damit gleichzeitig den USA versichert, dass wir ihnen und der Nato treu sind.“