Nach der Wahl: Wie kann EU demokratischer werden?
Zuerst vermeintliche Spitzenkandidaten für den Kommissionsvorsitz und eine überraschend hohe Wahlbeteiligung. Anschließend die Machtdemonstration und der Zank der Staats- und Regierungschefs, die von Spitzenkandidaten nichts wissen wollten. Zuletzt mit denkbar knappem Ergebnis die Wahl von der Leyens. Angesichts all dessen finden einige Kommentatoren: Es muss sich etwas ändern.
Zeit für die große Demokratie-Reform
Eine Rundum-Reform hält Der Standard für nötig:
„Die gesamte institutionelle Architektur der Gemeinschaft muss auf den Prüfstand. Es braucht ein gemeinsames EU-Wahlrecht, die Abschaffung der Vetorechte einzelner Staaten, ein EU-Parteiengesetz mit Transparenzregeln zur Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Die EU-Kommission muss verkleinert und dadurch handlungsfähiger werden. Das und noch mehr sollte durch die Einberufung einer Regierungskonferenz unter Einbindung der Bürger noch in diesem Jahr begonnen werden. Prioritätsstufe eins. Es ist alarmierend und schockierend, wie viele EU-Bürger in den sozialen Medien zum Ausdruck bringen, dass sie sich bei den nächsten Europawahlen nicht mehr beteiligen wollen.“
Kommissionschef muss direkt gewählt werden
Europas Politiker müssen endlich ihren schönen Worten Taten folgen lassen, mahnt Ziare:
„Was würde eine Definition der EU bedeuten, die tatsächlich eine Union der Bürger ist, so wie es Präsident Macron immer in seinen Diskursen vorgibt? ... Und nicht nur eine einfache Staatenallianz, nach deren Prinzip genau derselbe Präsident Macron in Wirklichkeit hinter verschlossenen Türen agiert hat? Sie würde bedeuten, dass man dem Europäischen Rat das Vorrecht nimmt, den Chefposten der EU-Kommission zu bestimmen. Die Funktion sollte durch eine direkte Abstimmung in zwei Wahlgängen durch die EU-Bürger gewählt werden - auf der Grundlage von Kandidaten, die von den europäischen Parteien nominiert wurden. ... Auf diese Weise hätten wir mit Sicherheit einen EU-Kommissionspräsidenten, hinter dem die Mehrheit der europäischen Bürger steht.“
Den europäischen Bürger gibt es nicht
Anders sieht die Dinge die Kolumnistin von De Standaard, Mia Doornaer, die die Empörung über die Wahl von der Leyens nicht nachvollziehen kann:
„Die Regierungschefs hätten damit das EU-Parlament und daher 'das Volk' beleidigt, so wird gesagt. Welches Volk? Denkt jemand, dass ein griechischer oder litauischer oder spanischer Staatsbürger sich bei der Europawahl zwischen Manfred Weber oder Frans Timmermans zu entscheiden glaubte? ... Das System der Spitzenkandidaten verschiebt das politische Tauziehen von den europäischen Regierungschefs zu den europäischen Parlamentsfraktionen. Aber in beiden Fällen hat 'das Volk' nichts zu sagen. Man muss eine europäische Identität dann auch nicht suchen, wo sie nicht ist, nämlich bei dem nicht existierenden europäischen Bürger. Sie existiert aber seit langem in der Welt der Literatur, der Wissenschaft und der Kultur.“