Neuer Anlauf für Brexit-Gespräche: Hilft das noch?
Um den stockenden Verhandlungen über ein Handelsabkommen nach dem Brexit "neuen Schwung" zu verleihen, wollen Großbritannien und die EU ihre Gespräche im Juli intensivieren. Darauf einigten sich beide Seiten in einem Spitzentreffen am Montag. Eine Verlängerung der Übergangsphase lehnt London weiterhin ab. Ob das noch Bewegung in die Sache bringen kann, beurteilen europäische Medien eher skeptisch.
London hat ein Problem
Der EU bleibt nichts anderes übrig, als Großbritannien mit seinem Stolz auflaufen zu lassen, stellt El País ernüchtert fest:
„Wie ergebnislos dieses Gipfelchen war, zeigt nichts besser als der Umstand, dass es am Ende nicht einmal zu einer gemeinsamen Pressekonferenz reichte. Danke für die Klarheit. Anders ging es auch nicht, denn die in diesem Halbjahr durchgeführten Verhandlungsrunden, seit London Ende Januar offiziell ausgetreten war, haben zu nichts geführt. ... Es ist Großbritannien, das austritt und um Privilegien bittet. Wenn es in keinem Punkt nachgibt, scheint das Interesse [an einem Deal] zu fehlen. Wenn den Briten ihr glühender Patriotismus ein wirtschaftliches Desaster wert ist, ist das ihr Problem.“
Im Herbst könnte die Vernunft doch siegen
Johnson wird sich noch bewegen müssen, meint De Standaard:
„Wirtschaftlich hat Großbritannien am meisten zu verlieren. Die Corona-Krise trifft die britische Wirtschaft noch schwerer als die europäische. Kann Johnson sich noch eine zusätzliche Rezession durch einen harten Brexit leisten? Manche sagen, dass der harte Brexit diesbezüglich keinen großen Unterschied machen wird und dass er daher nicht einknicken wird. Aber die wahren Folgen der Corona-Krise sind noch nicht spürbar. Wenn im Herbst die Arbeitslosigkeit und die Zahl der Firmenpleiten in die Höhe schnellen, wird der gesunde Menschenverstand vielleicht wieder eine Rolle spielen.“
EU und Briten brauchen einander mehr denn je
Bei den Gesprächen steht viel mehr auf dem Spiel als freier Handel, mahnt The Times:
„Das Ergebnis der Verhandlungen wird die Beziehungen Großbritanniens zu seinen nächsten Nachbarn und Partnern vermutlich für viele Jahre prägen. Ein Abkommen ist von wesentlicher Bedeutung, um die Zusammenarbeit mit der EU bei einer Vielzahl von Themen zu stärken, die für das nationale Interesse Großbritanniens von entscheidender Bedeutung sind. Dazu zählen grenzüberschreitende Polizeiarbeit, Terrorismusbekämpfung, Klimawandel, Migration sowie die Beziehungen zu China und Russland. In einer Zeit zunehmender geopolitischer Spannungen und vor einer US-Präsidentenwahl, die die globale Ordnung zusätzlich zu belasten droht, war es für den Westen noch nie so wichtig, geeint zu bleiben. Eine Kluft zwischen Großbritannien und der EU entstehen zu lassen, wäre ein Versagen der Staatskunst.“