Estland: Chefin des Gesundheitsamts tritt zurück
In Estland ist die Chefin des Gesundheitsamtes, Merike Jürilo, zurückgetreten. Als Grund nannte sie starke Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung in der Corona-Krise. Jürilo hatte den forschen Kurs der Koalition aus Zentrumspartei, nationalistischer Ekre und konservativer Isamaa oft kritisiert. Was noch hinter dem Rücktritt steckt, erklären Estlands Medien.
Politik erniedrigt Experten
Õhtuleht kritisiert die Regierung für den erzwungenen Rücktritt scharf:
„Die Chefin der momentan wichtigsten Behörde tritt zurück und für den Premierminister ist das nur ein beliebiges Nebenthema! Das sagt einiges aus über Ratas' Prioritäten, leider nichts Positives. ... Mit der Entlassung von Jürilo hat die Regierung den Ton für die Wahl ihres Nachfolgers gesetzt. Wenn das die Vorstellung der Regierung von Vertrauen ist, dass sich die Kompetenz stumm dem politischen Willen unterwirft, selbst in sehr spezifischen Gesundheitsfragen, müssen wir große Sorgen vor einer zweiten Viruswelle haben.“
Unbeliebt bei allen Regierungsparteien
Der Rücktritt der Behördenchefin war nur eine Frage der Zeit, erklärt Eesti Rahvusringhääling:
„Merike Jürilo wusste wohl schon seit längerem, dass die Politiker sie loswerden wollen. Warum lag sie mit allen Regierungsparteien über Kreuz? Bei Ekre ist das kaum verwunderlich, denn das Schimpfen über Beamte ist in deren politischer Rhetorik einprogrammiert. ... Premier Jüri Ratas wiederum versuchte, die Tätigkeit des Gesundheitsamtes bis ins kleinste Detail zu kontrollieren, er mischte sich in Details ein, die nicht sein Metier sind. ... [Außenminister Urmas] Reinsalu hatte ein anderes Problem mit dem Gesundheitsamt: Ihm gefiel sein Eifer, die Grenzen zu sperren, nicht. Hinzu kam zuletzt der unglückliche Fall mit den Antikörper-Schnelltests, die ein großer Sponsor der Isamaa-Partei der Regierung anbieten wollte und die das Gesundheitsamt mit offener Skepsis betrachtete.“