Corona: Von wegen alle in einem Boot
Dass die Corona-Krise soziale Ungleichheit offenbart und teils noch verschärft, wurde bereits zu Beginn der Pandemie von vielen Beobachtern konstatiert. Nun gesellt sich zu diesen Analysen die Kritik am Umgang einzelner Regierungen mit der Pandemie. So haben Kommentatoren zufolge beispielsweise Stockholm und Ankara einen Teil der Gesellschaft im Stich gelassen.
Schwedischer Weg kommt nur Wohlhabenden zugute
In Stockholm sind nach Recherchen der Zeitung Expressen reiche Stadtteile von der Pandemie nahezu verschont geblieben, während es arme Gebiete umso härter traf. Der schwedische Sonderweg hat dazu beigetragen, kritisiert Dagens Nyheter:
„Die Gesundheitsbehörde hatte offenbar vor allem das Wohl der wohlhabenden Mittelschicht im Blick. ... Wenn 'wir' uns nur vernünftig verhielten - bei Krankheit zu Hause blieben, im Home-Office arbeiteten, das Auto statt den Bus nähmen - würden 'wir' keine Freiheiten einbüßen, essen gehen können, keine Maske tragen müssen. ... Statt wie unsere Nachbarländer die Infektionszahlen zu drosseln, um Risikogruppen und gesellschaftlich wichtige Gruppen zu schützen, hat die Regierung die Ausbreitung des Virus akzeptiert. ... Den Preis für eine solche Strategie zahlen die Schwächsten der Gesellschaft.“
In der Türkei hilft vor allem Vitamin B
Wer Verbindungen zur Regierung hat, kommt in der Türkei besser durch die Pandemie, empört sich Gazete Duvar:
„Wir haben im Nachhinein erfahren, dass, während wir das Gesundheitspersonal beklatschten, die Entscheidungsträger, die den Applaus anführten, Mediziner mit einem 'Fürsprecher' von Corona-Patienten fernhielten. Man schützte also die eine Gruppe vor Ansteckung, und ließ die andere Gruppe so lange Schicht arbeiten, dass Mediziner, wenn nicht am Virus, so doch vor Müdigkeit starben. ... Es verwundert nicht, dass in der Vetternwirtschaft nicht diejenigen zuerst Zugang zu Tests und Therapien bekamen, die sie am meisten benötigten, sondern die mit Bekannten in den höchsten Rängen. ... Anstatt die Testkapazitäten zu erweitern und die Positiven zu isolieren, entschied man sich dafür, einen Teil der Menschen einzusperren.“
Endlich alle ernsthaft schützen
Auch für Jornal de Notícias offenbart die Pandemie gnadenlos die bestehende Ungerechtigkeit:
„Das Coronavirus ist ein sehr diskriminierendes Virus: Zunächst einmal bevorzugt es Alte und Menschen mit schwacher Gesundheit, es mag Arbeiter aus der städtischen Peripherie, es erfreut sich an Einwanderern ohne Schutz, an prekären Zeitarbeitern und, wie man weiß, präferiert es sogar bestimmte Branchen: die Fleischindustrie, das Bauwesen und natürlich die Pflege. Eine anständige und vielleicht effektive Reaktion auf Covid-19 und seine Folgen wäre es, alles zu tun, um uns alle in dasselbe Boot zu bringen. Die am stärksten benachteiligten Arbeitnehmer und Bevölkerungsgruppen müssen ernsthaft geschützt werden und wir sollten an der Vision arbeiten, die uns in Richtung einer gleichwertigen und kohärenteren Gesellschaft bringt.“