Was will Macron in Beirut?
Frankreichs Präsident Macron hat nach der verheerenden Explosion in Beirut als erstes ausländisches Staatsoberhaupt den Libanon besucht. Vor gegen die Regierung protestierenden Bürgern machte er sich für ein internationales Hilfsprogramm zum Wiederaufbau des schwer gebeutelten Landes stark und betonte, dass die Hilfe die Menschen direkt erreichen soll. Kommentatoren diskutieren, ob dies die richtige Geste zur richtigen Zeit war.
Der Mann hat verstanden
Macron verlässt sich nicht auf die korrupte und versagende libanesische Führung, lobt die libanesische Zeitung L'Orient-Le Jour:
„Ob Unfall oder Attentat, Bombe oder Geschoss, Israel oder der Zufall - was kümmert es uns! Dies ist in etwa die Botschaft, die die überlebenden Opfer von Beirut Emmanuel Macron und der internationalen Gemeinschaft zu vermitteln versucht haben. Der libanesische Staat, der echte, ist nicht das Monster, mit dem wir es heute zu tun haben, und kann dies auch niemals sein. Ignorieren Sie das Monster, umgehen Sie es, tun Sie so, als existiere es nicht! Vor allem darf man es die Ermittlungen zur Explosion vom 4. August nicht alleine leiten lassen. Und auch die internationale Hilfe muss unter Umgehung des Monsters zugewiesen werden. Bezüglich dieser und weiterer Punkte hat Emmanuel Macron gestern Abend gezeigt, dass er einen entscheidenden Schritt vollzogen hat.“
Starkes Signal aus Europa
Der Spiegel findet Macrons Auftritt mutig:
„[N]atürlich ist Macrons Auftritt auch damit zu erklären, dass es zu Hause immer noch gut ankommt, wenn der Präsident in den ehemaligen Kolonien eine starke Figur abgibt. Doch in erster Linie ist es ein starkes Signal aus Europa, dass Macron so schnell ins Land gereist ist und sich an die Seite der Bevölkerung stellt – gegen die verhassten Eliten ... . Frankreich ist der einzige EU-Staat, der über echten geopolitischen Ehrgeiz verfügt und ihn immer wieder offen zeigt - manchmal fehlgeleitet, wie die jüngsten Alleingänge in Libyen zeigen. Doch immerhin hat Macron überhaupt außenpolitischen Gestaltungswillen und keine Scheu davor, als Europäer eine Führungsrolle zu übernehmen. Davon könnte sich Deutschland auch etwas abschauen.“
In erster Linie strategisch motiviert
Frankreich webt ein geopolitisches Netz, um die Türkei auf ihrem Vormarsch im Mittelmeerraum zu stoppen, erörtert La Repubblica:
„Die Mission des Chefs des Élysée-Palastes im Libanon fällt zusammen mit der Ankündigung eines See-, Energie- und Wirtschaftsabkommens zwischen Griechenland und Ägypten. Eine klare Antwort auf das Seegrenzen-Abkommen, das die Türkei und die libysche Regierung in Tripolis vergangenes Jahr unterzeichnet haben. Die Koinzidenz ist wohl kein Zufall: Auch hier hat Frankreich seine Hände im Spiel - ein Frankreich, das von der Türkei in Libyen gedemütigt wird und entschlossen ist, Ankara auch im Libanon zurechtzustutzen, das einst der Hof der Türkei im Nahen Osten war. Ein 'großes Spiel' im Mittelmeerraum, mit Paris am Regiepult.“
PR und Interventionismus? Nein, danke
De Morgen analysiert nicht ohne Befremden, wie Frankreichs Präsident offenbar die Gunst der Stunde nutzt:
„Inzwischen paradiert Präsident Macron wie ein Held durch die Straßen von Beirut. Die libanesische Bevölkerung sucht bei ihm den Trost, den sie bei ihren eigenen Führern nicht findet. Es ist ein merkwürdiges Bild. Die libanesische Bevölkerung klammert sich an den Führer des Landes, von dem es sich einst befreite. ... Wenn die Scherben aufgeräumt sind, wird deutlich werden, ob die Wut des Volkes zu einer Veränderung führt oder zu Chaos und noch mehr Zerstörung. Hoffentlich erweist sich Belgien dann als schneller und schlagkräftiger. Und nein, lieber nicht mit einer PR-Kampagne oder Interventionismus nach französischer Art.“