Charlie-Hebdo-Prozess: Ringen um die richtigen Worte
Seit vier Wochen vernehmen die Richter im Prozess zum Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo die unterschiedlichen Beteiligten. Islamistisch motivierte Attentäter hatten am 7. Januar 2015 in und unweit der Redaktion zwölf Menschen, sowie an den Folgetagen eine Polizistin und vier Geiseln in einem koscheren Supermarkt getötet. Wie wichtig es im Prozess ist, erstmal die richtigen Begriffe für Täter und Tat zu finden, erörtern Kommentatoren.
Wo unsere Sprache an Grenzen stößt
Es ist alles andere als leicht, das Geschehene in Worte zu fassen, beobachtet die Historikerin Virginie Sansico in Libération:
„Der juristische Begriff 'Mord' wird durch 'Angriff' und 'Terrorismus' ersetzt, deren Definitionen fließender sind. Von 'Tötung' war die Rede, für den einfachen Akt des Tötens, von 'Schießerei', was den Charakter eines Verbrechens betont, von 'Massaker' und 'Gemetzel', was sich auf Akte extremer Gewalt bezieht. Eine Zeugin, die am 7. Januar 2015 beruflich in der Nicolas-Appert-Straße unterwegs war, zog es vor, über die 'Sache' zu sprechen, die an diesem Tag geschah und mit der sie sich zufällig konfrontiert sah. Damit zeigte sie die Grenzen der Worte des Gesetzes und der Geschichte auf, wenn terroristische Gewalt in den Alltag einbricht. Und die Schwierigkeiten dieses Prozesses, zu Beginn seiner vierten Woche seine eigenen Worte zu finden, um seine Geschichte zu schreiben.“
Die Attentäter waren Menschen wie wir
Der Journalist Jean-François Kahn, der im Charlie-Hebdo Prozess ausgesagt hat, wehrt sich in Le Soir dagegen, dass die Täter oft als Barbaren beschrieben werden:
„'Barbaren'? ... Dann ist es also nicht ihre Schuld. Sie waren nicht wie wir - sondern halb Mensch, halb Bestie. Es war ihre Barbarei, die sie kriminell gemacht hat. Die Barbarei ist schuld und sie selbst fast unschuldig. Aber das waren sie nicht! Sie waren keine Barbaren. Sie waren unsere Mitmenschen. Sie waren so wie wir. Sie wurden wie so viele andere, die 'wie wir' waren, im Laufe der Geschichte von diesem schrecklichen, tödlichen Virus des Fanatismus infiziert. ... Von diesem Virus, das jeden - jeden - zum Mörder machen kann, zum Täter eines Massakers oder eines Genozids - denen Millionen von Juden, Ungläubigen, Abfälligen, Schurken, Schismatikern, Ketzern, Abweichlern und Revisionisten zum Opfer fielen.“
Toleranz kann wehtun
Satire stellt die Meinungsfreiheit auf die Probe, weiß Schriftstellerin Emma Riverola in El Periódico de Catalunya:
„Ich bin nicht Charlie Hebdo. Die Karikaturen erwecken in mir oft Emotionen, die rein gar nichts mit Lächeln zu tun haben. Ein Mädchen und ein Junge auf dem Schulweg, statt Ranzen tragen sie Särge auf den Rücken. [Und Masken, so zu sehen auf dem Titelblatt vom 26. August, in Anspielung an den Schuljahresbeginn.] 'Werden sie das Jahr beenden?' ... Doch im Verteidigen dieser abscheulichen Karikatur oder der dämlichen Reime [des wegen Majestätsbeleidigung in Spanien verurteilten Rappers] Valtònyc entfaltet das Recht auf freie Meinungsäußerung seinen ganzen Sinn. Auch wenn sie einen stört oder verletzt - die Karikatur zu akzeptieren, ist eine Impfung gegen Intoleranz und blinden Hass. Denn am Ende gilt: Gegen den Terror der Waffen bin ich eben doch ganz eindeutig Charlie!“
Ganz ehrlich: Wir trauen uns nicht mehr
Zum Prozessauftakt in Paris hat Charlie Hebdo erneut Mohammed-Karikaturen auf die Titelseite gedruckt, darunter auch einige, die 2005 ursprünglich die Zeitung Jyllands-Posten in Auftrag gegeben hatte. Jyllands-Posten nimmt hingegen von solchen Gesten Abstand und erklärt:
„Wir trauen uns, es jetzt zu sagen, wie es ist: Es ist zu gefährlich. Die Entscheidung basiert auf der Furcht vor dem, was passieren kann. Aber: Furcht ist ein legitimes Gefühl. Jyllands-Posten lebt seit 15 Jahren mit ständigen Sicherheitseinschätzungen durch den Nachrichtendienst. Wir wissen, was ein mentaler Belagerungszustand bedeutet. Dass wir anderes höher priorisieren, bedeutet aber nicht, dass wir die Meinungsfreiheit nicht länger verteidigen. ... Die Kollegen von Charlie Hebdo haben den höchsten Preis für die Verteidigung der Meinungsfreiheit bezahlt. Dafür würdigen wir sie heute.“
Wer Muslimen Kritik zumutet, respektiert sie
Das intellektuelle Klima im Land hat sich gewandelt, konstatiert Causeur:
„Unter den Anhängern der Zeitschrift herrscht eine Stimmung der Ernüchterung. ... Emmanuel Macron erinnerte gestern an das Recht auf Blasphemie. Aber die Idee, dass man Religionen, insbesondere diese eine, nicht kritisieren sollte, setzt sich unter Politikern, Journalisten und Gläubigen aller Glaubensrichtungen immer mehr durch. Dies würde Bevölkerungsgruppen stigmatisieren, die bereits diskriminiert werden. Und noch weniger sollte sie karikiert werden, denn das könnte gewalttätige Reaktionen provozieren. ... Die Beleidigung des Islam oder eines anderen Glaubens ist natürlich kein Selbstzweck. Aber es sind diejenigen, die meinen, Muslime seien nicht in der Lage, das 'Leiden der Freiheit' (Alain Finkielkraut) zu ertragen, die sie beleidigen.“
Die Hydra ist nicht besiegt
Daran, dass die Gefahr von Terroranschlägen nicht gebannt ist, erinnert Večer:
„Die Tatsache, dass es in den vergangenen Jahren keine größeren Anschläge gab, heißt nicht, dass der Terrorismus gestoppt ist. Es gibt nach wie vor Gründe für den Terrorismus. Die Vereinigten Staaten und andere Supermächte trampeln weiterhin ungestraft durch die Welt, die Ungleichheit wächst und Links- und Rechtsextremisten werden stärker. Die wichtigsten islamistischen Terrororganisationen gibt es nicht mehr, aber wahrscheinlich entstehen irgendwo bereits neue. Al Qaida erlosch 2011 mit dem Tod von Osama bin Laden, der islamische Staat mit dem Selbstmord des gejagten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi im Oktober letzten Jahres. Aber irgendwo auf der Welt gibt es bereits neue bin Laden und al-Baghdadi. Und sie warten nur darauf, dass ihre Zeit anbricht.“
Schädliche Tendenz zur Selbstzensur
Die Einstellung zur Pressefreiheit hat sich in den vergangenen fünf Jahren verändert, bemerkt der Musiker und Dramaturg Benjamin Sire in Le Figaro:
„Fünf Jahre nach dem Massaker an den Journalisten von Charlie Hebdo wird der Geist von Charlie Hebdo mehr denn je in Frage gestellt, ebenso wie das Prinzip der Karikatur selbst. Dies wird durch die jüngste und beunruhigende Entscheidung der New York Times belegt, die Pressekarikaturen von ihren Seiten zu entfernen, um die Öffentlichkeit nicht mehr zu schockieren. ... Leider rollt man mit der Weigerung, mit Spott oder Karikatur Öl ins Feuer zu gießen, den roten Teppich für alle Zensoren und Anhänger des Totalitarismus aus, der sich am Ende oft gegen einen wendet.“
Demokratie gegen Obskurantismus stärken
Der Geist von Charlie Hebdo muss weiter verteidigt werden, meint auch Liberation:
„Ja, wir können über die Religionen, alle Religionen, spotten, sie karikieren, sie lächerlich machen. Und ja, diese Redefreiheit muss eine der Säulen unserer Demokratie bleiben. ... Bedeutet das, dass wir nicht wachsam sein müssen gegenüber zunehmender Islamophobie? Nein, denn sie ist real. ... Der Prozess, der nun beginnt, ist trotz der Abwesenheit der drei von der Polizei erschossenen Attentäter und trotz der anhaltenden Unklarheit darüber, wer die Morde befohlen hat, ein historischer Prozess. Der Beitrag, den er zur gemeinsamen Niederschrift einer schmerzlichen Erinnerung leisten wird, seine - wenn auch beschwerliche - Suche nach der Wahrheit und das schließlich zu fällende Urteil dürfen nur ein Ziel haben: unsere Demokratie gegen jeglichen Obskurantismus zu stärken.“