Großbrand in Moria: Katastrophe mit Ansage?
Ein Großbrand hat das griechische Flüchtlingslager Moria zu weiten Teilen zerstört, Tausende Bewohner sind obdachlos. In dem für 2.800 Personen ausgelegten Camp lebten über 12.000 Menschen, zuletzt gab es zudem die ersten Corona-Fälle.
Wir schaffen es noch immer nicht
Eine europäische Migrationspolitik fehlt weiterhin, stellt De Tijd bitter fest:
„Der heftig umstrittene Deal zwischen der Türkei und der EU war ein erster Schritt zu einer solchen Politik. Aber fünf Jahre später wird deutlich, dass wir noch immer Griechenland die Lasten schultern lassen. ... Die Vorgänge in Moria zeigen, dass die europäische Migrationspolitik noch immer nicht ausreicht. Vor fünf Jahren sprach Angela Merkel die Worte aus: 'Wir schaffen das'. Inzwischen wurden Schritte gemacht, um ein schwieriges Ziel zu erreichen: eine menschenwürdige Migrationspolitik, die auch ausreichend vom europäischen Bürger unterstützt wird. Doch wer die Bilder aus Moria sieht, muss zugeben, dass wir es eigentlich noch immer nicht können.“
Stille Komplizen
Der Regisseur, Schriftsteller und Darsteller Nicolas Androulakis wünscht sich in einem von TVXS übernommen Facebook-Post, dass es tägliche Solidaritätsdemos für die Geflüchteten gibt:
„Von Athen bis in jede Hauptstadt Europas. ... Aber es ist noch nicht so weit. Weil wir innerlich alle zittern. Vor dem, was wir verlieren könnten. Vor dem, was uns passieren könnte. Seit so vielen Jahren haben wir weggeschaut. ... Wir sind alle stille Komplizen in den unmenschlichen Gleichungen des Kapitalismus und der westlichen Lebensweise. Dadurch wurden der Nahe Osten und Afrika verwüstet, konnten sich Dynastien etablieren, wurden Bürgerkriege ausgelöst und Tonnen von Öl und Geld ins Feuer des religiösen Extremismus geworfen. Und das ist der Grund dafür, dass diese Menschen alles riskieren müssen, um ein bisschen wie wir zu leben. Und wir zittern.“
Alle zu holen, wäre das falsche Signal
Deutschland sollte sich bei der Aufnahme der Geflüchteten zurückhalten, rät die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Wenn der gesellschaftliche Frieden … als hohes Gut akzeptiert ist, dann kann der Umgang mit den Menschen aus Moria nur das Ergebnis vorsichtiger politischer Abwägung sein. Es steht außer Frage, dass geholfen werden muss. Alle oder die meisten nach Deutschland zu holen wäre hinsichtlich der Zahl kein Problem. Das Signal wäre gleichwohl falsch. Es könnte nicht nur einen Pull-Effekt haben. Vor allem würden sich diejenigen Länder Europas, die bei einer gemeinsamen Asylpolitik nicht mitmachen wollen, bestätigt fühlen.“
Luftbrücke nach Lesbos einrichten
Für die Frankfurter Rundschau kann es jetzt erst einmal nur das Ziel geben, eine weitere Eskalation zu verhindern:
„Lesbos braucht sofort Katastrophenhilfe und kann nicht auf eine Einigung in der europäischen Asylpolitik warten. Die Insel braucht eine internationale Luftbrücke, wie sie in anderen Krisen auch schon aufgebaut wurde: Zelte, Trinkwasser, Corona-Teststationen müssen eingeflogen und es muss schnell eine sehr große Zahl Geflüchteter von der Insel evakuiert werden: aufs griechische Festland, nach Deutschland und in andere, aufnahmebereite EU-Länder. Es geht darum, Menschen zu retten. Politisch taktiert wurde schon zu lange.“
Koalition der Willigen hat viel Potential
Die EU-Staaten sollten nicht darauf warten, dass sie sich in der Migrationsfrage einigen können, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Vielleicht hilft es, sich einzugestehen, dass die EU der 27 Staaten eben doch keine Wertegemeinschaft ist, sondern ein Zweckbündnis der vielen Werte und Sichtweisen. ... Das bedeutet aber nicht, dass die Europäer in der Migrationspolitik zur Untätigkeit verdammt sind. Immer wieder hat sich zuletzt gezeigt, dass einzelne Staaten mit gutem Beispiel vorangehen können, wenn es zum Beispiel darum geht, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, die Verteilung von Flüchtlingen auszuhandeln, Asylbeamte zu entsenden oder Abkommen mit Drittstaaten zu schliessen. Diese 'Koalitionen der Willigen' sind zurzeit vielleicht der vielversprechendste Ansatz in der 'europäischen Flüchtlingspolitik'.“
Des Friedensnobelpreises nicht würdig
Die EU erscheint durch die Flammen in einem erbärmlichen Licht, kommentiert tagesschau.de:
„Moria ist die Hölle made in Brüssel. ... Die EU-Moralisten, die auf jedes Elend dieser Welt gern empört und gern auch mit einer tapferen Erklärung aller EU-Außenminister reagieren, sind die Heuchler. ... Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte ... gilt nicht nur jenseits der EU-Außengrenzen. Sie gilt in einem Lager, in dem Jugendliche versuchten, sich aus Verzweiflung mit Tabletten und mit Messern das Leben zu nehmen. Sie gilt in einem Lager mit einem Supermarkt für rund 13.000 Menschen. Sie gilt, wo es keine Seife gab, und Duschwasser nur zweieinhalb Stunden am Tag. Sie gilt dort, wo die Zukunftsperspektive so groß war, wie die blaue Plastikplane über dem Kopf. ... Die Friedensnobelpreis-EU sollte sich die Sache mit der Würde des Menschen noch mal genau überlegen.“
Bereitwillig die Drecksarbeit übernommen
Die linke Tageszeitung Avgi kritisiert die Rolle Griechenlands:
„Die Wurzel aller Tragödien, die wir in der Flüchtlingskrise erleben, ist die Entscheidung der Mitsotakis-Regierung, die Flüchtlingswelle im Namen ganz Europas zu stoppen. Dazu gehören Rückführungen auf See und die Errichtung von Konzentrationslagern auf den Inseln, die nach internationalem Recht verboten sind, aber von unseren [EU-]Partnern gefördert werden. Anstatt von den Europäern praktische Solidarität, technische Hilfe und Umsiedlung der Flüchtlinge zu fordern, übernahm Griechenland bereitwillig die Drecksarbeit. Und glaubte, Punkte bei den konservativen Teilen der Gesellschaft sammeln zu können.“
Abschreckung als kleinster gemeinsamer Nenner
Für den Tages-Anzeiger ist der Brand ein Symbol für Europas Scheitern:
„Die europäischen Steuergelder hätten problemlos ausreichen müssen, um angemessene Unterkünfte und schnelle Verfahren garantieren zu können. Aber ja, auch die anderen EU-Staaten inklusive der Schweiz als Teil des Dubliner Asylabkommens sind gescheitert. Die katastrophalen Zustände in Moria waren kein Geheimnis und sollten wohl abschreckend wirken. Hier gibt es ein stilles Einverständnis zwischen den ... Europäern, die sich darüber hinaus auf nichts einigen können. ... Es bräuchte endlich europäische Asylzentren mit einheitlichen Verfahren entlang der Aussengrenzen. Und europäische Rückführungsabkommen mit den wichtigsten Herkunftsländern. ... [Dann] wäre die Frage der Umverteilung, die bisher jede europäische Asylreform blockiert hat, politisch nicht mehr so brisant.“
Zurück auf die Sachebene
Für den Kurier sind die Konsequenzen aus dem Großbrand eindeutig:
„Seit Jahr und Tag weisen internationale Organisationen und NGOs auf die katastrophale Lage hin. Doch nur eine Handvoll europäischer Länder war bereit, ein paar Dutzend unbegleitete Minderjährige aufzunehmen – Österreich im Übrigen nicht. Der 'Pull-Faktor' wäre zu groß, heißt es als Begründung. ... Doch erstens ist das nicht erwiesen, und zweitens ist die Zahl der Migranten zuletzt stark zurückgegangen. ... [D]ie Debatte, und das hat wahrlich nichts mit 'Gutmenschentum' zu tun, müsste auf die Sachebene geführt werden, die zwei zentrale Punkte beinhaltet: Der alternde Kontinent braucht Zuzug, ob man das will oder nicht (nur ein Stichwort: Pflege). Und Menschen, die in ihrer Heimat keine Perspektive haben, kommen einfach. ... Deswegen brauchte es endlich eine einheitliche und vor allem solidarische europäische Politik.“