EuGH sanktioniert Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen
Polen, Ungarn und Tschechien hätten die Aufnahme von Asylbewerbern aus Italien und Griechenland infolge der Flüchtlingskrise von 2015 nicht verweigern dürfen. Damit haben sie EU-Recht gebrochen, stellte der Europäische Gerichtshof am Donnerstag fest. Die EU-Innenminister hatten eine Verteilung auf alle Mitgliedsstaaten beschlossen, um die Ankunftsländer zu entlasten. Was bringt der Richterspruch jetzt noch – fast fünf Jahre danach?
Warnschuss im richtigen Moment
Večer hofft, dass das Urteil weitreichende Folgen haben wird:
„Mit einer mehrjährigen Verzögerung, aber vielleicht gerade im günstigsten Moment, hat der EuGH drei der vier Länder der Visegrád-Gruppe, Ungarn, Polen und Tschechien, eine Ohrfeige verpasst. Das Urteil bezieht sich auf ihre unkooperative Haltung während der Migrantenwelle im Jahr 2015. Doch es ist ebenso eine Warnung für die Zukunft - auch im Hinblick auf eine einheitliche europäische Bekämpfung des Coronavirus und die begleitende Aufhebung von Menschenrechten und Freiheiten, die die populistischen Autokraten so lieben. … Die Regierenden in den drei genannten Staaten pfeifen mehr oder weniger auf die Entscheidung des Gerichts. … Doch irgendwann werden die übrigen EU-Staaten genug davon haben, zumindest im Fall Ungarns, wo sich das Parlament praktisch selbst suspendiert hat.“
Eine absurde Entscheidung
Das regierungsnahe Portal WPolityce.pl findet die Entscheidung verlogen:
„Erstens hat Berlin die EU-Grenzen für die sogenannten Flüchtlinge und mehrere Millionen Migranten ohne Diskussion oder Zustimmung von irgendjemandem rechtswidrig und einseitig geöffnet. Zweitens ist die ebenso rechtswidrige Entscheidung zur Umverteilung, die unter dem Druck Berlins getroffen wurde, schon längst nicht mehr in Kraft, weil niemand Lust hatte, sie einzuhalten. Der Europäische Rat hat sie am 29. Juni 2018 formal annulliert, und am 18. Oktober 2018 ließ die Union die Idee schließlich endgültig fallen. Drittens hat nichts so stark zur Krise der EU beigetragen wie die deutsche Willkommenspolitik, die in ganz Europa einen tragischen Tribut forderte und von der selbst die Deutschen genug haben.“
Solidarität nur in fetten Jahren?
Das EuGH-Urteil zeigt, dass wahre Solidarität innerhalb der EU selten ist, meint Večernji list:
„Immer, wenn die EU von einer Krise betroffen ist, und davon gab es in letzter Zeit einige, ist alles, womit sich die Union sonst brüstet - Solidarität, Zusammenarbeit und so weiter - das erste Opfer. Das ist kein Wunder, als dass es ein erster natürlicher Reflex ist, sich zurückzuziehen und sich um sich selbst und seinen Nationalstaat zu kümmern. Doch wenn diese Denkweise zur politischen Richtung wird, fragen sich viele, ob die EU nur ein Konstrukt für die fetten Jahre ist. Die Tatsache, dass drei europäische Staaten - Tschechien, Polen und Ungarn - die Gesetze der Union gebrochen haben, ist ein Paradebeispiel für eine Solidarität, die nicht beiderseitig ist.“
Nutzlos und zu spät
Die Meinungen zu diesem Thema sind längst gemacht, resümiert Lidové noviny:
„EU-Kritiker werden sich über das Urteil aufregen - ein Urteil, das keine unmittelbaren Auswirkungen hat und zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, an dem die Union beschuldigt wird, den Mitgliedsstaaten zu wenig gegen das Coronavirus zu helfen. Die Befürworter der Umverteilung von Flüchtlingen werden argumentieren, dass richtig entschieden wurde. Auch wenn die Quoten mittlerweile zu den Akten gelegt wurden, weil sie nicht funktionieren. Das wichtige Prinzip, dass Regeln eingehalten werden müssen, rückt in den Hintergrund. Das ist kein gutes Ergebnis eines Gerichtsverfahrens.“