Supreme Court: Wie verändert RBGs Tod die USA?
Nach dem Tod der liberalen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg kurz vor der US-Präsidentschaftswahl kann Amtsinhaber Donald Trump ihren Nachfolger nominieren. Dessen Bestätigung durch den Senat vorausgesetzt, könnte dies die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof langfristig zementieren. Beobachter loten aus, was das für das Land bedeuten würde.
Öl ins lodernde Feuer
Ein weiterer Konflikt ist das Letzte, was die USA derzeit brauchen können, betont Politiken:
„Die Kombination aus Trumps schamlosem Populismus, der Corona-Pandemie und der daraus erwachsenden Wirtschaftskrise hat das politische System und seine Institutionen unter höchsten Druck gesetzt und dafür gesorgt, dass die Wahlen im November stark polarisieren. ... Mit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg wird nun weiter Öl ins Feuer gegossen. Das Oberste Gericht gehört zu den mächtigsten Institutionen des Landes, es greift in die privatesten Sphären der Bürger ein. ... Mit Blick auf eine extrem wichtige Wahl, bei der Briefwahl und Corona-Restriktionen zu vielen Konflikten und juristischen Streitfällen führen können, braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein Oberstes Gericht mit einem neuen, eilig ernannten Richter die Lage weiter verschlimmern kann.“
Trump riskiert, die Frauen gegen sich aufzubringen
US-Präsident Donald Trump will noch diese Woche eine Nachfolgerin für "RBG" vorstellen. Volkskrant-Kolumnistin Heleen Mees warnt ihn vor den Folgen:
„Jeder andere amerikanische Präsident hätte in dieser Woche das Leben und die Arbeit von Ruth Bader Ginsburg gewürdigt. Nicht aber Donald Trump. Der stellt noch in dieser Woche eine Nachfolgerin vor, obwohl es Ginsburgs großer Wunsch war, nicht ersetzt zu werden, bevor ein neuer Präsident eingesetzt ist. Trump beschuldigte die Enkelin von Ginsburg sogar, über diesen letzten Wunsch ihrer Großmutter zu lügen. Das wird sich am 3. November gegen Trump richten. Nicht alle Frauen in den USA streben ein Leben und eine Karriere an, wie Ginsburg sie hatte. Aber die meisten Frauen sind sich darüber im Klaren, dass sie ihre Freiheiten und Chancen auch der radikalen Ideale von Ginsburg zu verdanken haben.“
Legitimitätsprobleme sind programmiert
Slate sorgt sich um die demokratische Verfasstheit der USA:
„Ein Präsident, der die Wahl zahlenmäßig verloren hat (Hillary Clinton erhielt etwa 2,9 Millionen Stimmen mehr als Trump), schickt sich an, seinen dritten Supreme-Court-Richter zu ernennen (für ein Amt auf Lebenszeit) ... Wenn sich Trump durchsetzt, wird sich der Oberste Gerichtshof aus einer Mehrheit von Richtern zusammensetzen, die von Präsidenten eingesetzt wurden, die die Wahl nach Stimmen verloren haben (Donald Trump und George W. Bush), und von Senatoren bestätigt werden, die weniger als die Hälfte des Landes repräsentieren. Können wir noch von legitimen Institutionen sprechen, wenn sie den Willen des Volkes nicht widerspiegeln?“
Mehr Konservative machen noch kein Trump-Gericht
Ein republikanisch dominierter Supreme Court wäre ein praktisches Feindbild für die Demokraten, so Helsingin Sanomat:
„Die traditionelle Konstellation Republikaner gegen Demokraten entspricht nicht mehr der Realität in einem Land, in dem sich Trumps nationalistischer Populismus weit von der traditionellen Linie der Republikaner entfernt hat. Die von Trump bisher nominierten Richter sind traditionelle Republikaner und strenge Legalisten, keine Trump-Radikalen. Sie würden Trump nicht zwingend unterstützen, falls der Supreme Court zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen Stellung nehmen müsste. Für die Demokraten wäre ein konservativeres Gericht eine Niederlage, aber es könnte auch Vorteile haben. Wer Veränderung will, braucht eine Mauer zum Zertrümmern. Ein konservativer Supreme Court könnte für die Demokraten ein guter Feind werden.“
Richter spielen das politische Spiel mit
Für die Wiener Zeitung ist nicht nur Trump das Problem:
„Auch Höchstgerichte haben die Macht, die Zerrüttung der Demokratie herbeizuführen, wenn sie sich selbst der nackten Logik des Parteienwettbewerbs unterwerfen. ... Der größte Vorwurf, den man [Trump] machen kann, ist, dass er in bisher nicht gekanntem Ausmaß bereit ist – und andere dazu bringt –, geschriebene und ungeschriebene Regeln zu seinen Gunsten zu biegen. Erfunden hat Trump dies jedoch keineswegs. Dass Mächtige sich nehmen, was ihnen nicht verwehrt wird, ist keine neue Erkenntnis. ... Arthur Kennedy war wohl der letzte Höchstrichter, den beide Parteien bestellten, und das war 1987 unter Ronald Reagan. Seitdem begreifen beide Parteien die Nominierung von Höchstrichtern als Nullsummenspiel, wo es nur Gewinner und Verlierer gibt. Auch weil die Richter, gewählt auf Lebenszeit, sich dem nach ihrer Wahl nicht entziehen.“
Das Zünglein an der Waage?
Dass von der Wahl eines Nachfolgers für Ruth Bader Ginsburg letztlich der Ausgang der Präsidentschaftswahlen abhängen könnte, glaubt Jutarnji list:
„Auf das vielleicht größte Problem hat [der republikanische] Senator Ted Cruz hingewiesen, der die Bürger daran erinnerte, dass der Oberste Gerichtshof dieses Jahr eine noch größere Rolle bei der Bestätigung der Wahlergebnisse spielen könnte als im Jahr 2000 in Florida. Denn wegen der Pandemie könnte zum ersten Mal ein bedeutender Teil der Bürger die Briefwahl nutzen. Die bestehende Situation mit acht [statt neun] Richtern könnte zu einer Patt-Situation führen, die die Gewaltenteilung zusätzlich verkompliziert - und das in solch turbulenten Zeiten, wo Führung außerordentlich notwendig ist.“
Schlaglicht auf die Krise der US-Demokratie
De Standaard besorgt die parteipolitische Abhängigkeit der Justiz in den USA:
„Über die Nachfolge [für Ruth Bader Ginsburg] entscheidet der Präsident, dessen Job im Falle eines umstrittenen Wahlergebnisses vielleicht von einer Entscheidung des höchsten Gerichtes abhängt. Man muss schon sehr standfest sein, um dann zuungunsten des Mannes zu urteilen, dem man seine Ernennung zu verdanken hat. Dass eine Institution wie der Supreme Court in einen Stellungskrieg zwischen Demokraten und Republikanern gerät, ist beispielhaft für die demokratische Krise, in der das Land sich befindet. Das Paradoxe ist, dass Bader Ginsburg die Politisierung des höchsten amerikanischen Gerichtshofes verabscheute, aber zugleich - beabsichtigt oder nicht - als progressive Galionsfigur selbst dazu beigetragen hat.“
Mehr als die Hampelmänner des Präsidenten
Die Kleine Zeitung ist optimistischer:
„Dass eine konservative Richtermehrheit das Land ins gesellschaftspolitische Neolithikum zurückwirft, ist der Albtraum vieler liberal gesinnter Amerikaner. Doch ist keineswegs gesagt, dass es tatsächlich dazu kommt. Mit einer Reihe spektakulärer, die Trump-Administration maßregelnder Urteile haben die konservativen Mitglieder des Supreme Court bewiesen, dass sie sich nicht als Hampelmänner des Präsidenten verstehen, sondern als oberste Wächter der amerikanischen Verfassung. Es ist ein altes Phänomen: Das Amt formt seinen Inhaber. Amerikas Demokratie ist solider, als viele meinen.“
Die Senatsmehrheit wackelt
Die Abgeordneten der Republikaner in der kleineren Kongresskammer müssen aufpassen, sich nicht in Widersprüche zu verstricken, betont der Tagesspiegel:
„Die republikanischen Senatorinnen von Maine und Alaska ... schließen sich dem Ruf der Demokraten an, erst der neugewählte Präsident solle über die Nachfolge am Obersten Gericht entscheiden. Weitere Senatoren könnten ihnen folgen. Die Demokraten werden alle republikanischen Wackelkandidaten gehörig unter Druck setzen und daran erinnern, wie sie 2016 argumentiert hatten: Nicht der damalige Amtsinhaber Obama solle über die Scalia-Nachfolge entscheiden, sondern der neugewählte Präsident, damit der Souverän, das Volk, seinen Einfluss geltend machen könne. Was wird den betroffenen Senatoren wichtiger sein: Trumps dritte Supreme-Court-Ernennung nach Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh oder ihre eigene Wiederwahl?“