Orbán fordert Rücktritt von EU-Kommissarin
Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Věra Jourová, zuständig für Werte und Transparenz, hat Ungarns Premier Orbán vorgeworfen, durch Einschränkungen von Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit "eine kranke Demokratie aufzubauen". Orbán reagierte empört auf die "Demütigung" und forderte den Rücktritt der Tschechin. In den Heimatländern der beiden Protagonisten polarisiert der Fall stark.
Jourová als ideologische Abrissbirne
Mladá fronta dnes sieht das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen Tschechien und Ungarn gefährdet:
„Es ist genau das eingetreten, was von dem Augenblick an zu erwarten war, als die tschechische EU-Kommissarin Věra Jourová zustimmte, das nutzlose Portfolio einer stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden und Kommissarin für Werte und Transparenz zu übernehmen. So eine Kommissarin hat nicht viel zu tun. Und so macht sie Mitgliedsstaaten Vorhaltungen über deren angebliche demokratischen Defizite. Sollte Jourová in dieser Weise fünf Jahre lang unsere Beziehungen mit den Nachbarn zerstören, ist es womöglich an der Zeit, eine Erneuerung der Grenzbefestigungen zu erwägen. “
Eine Beleidigung der ungarischen Bevölkerung
Eine Kommissionsvizepräsidentin darf sich solche Äußerungen nicht leisten, kritisiert die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Seitdem [das Parteienbündnis] Fidesz-KDNP das Land regiert, wurde Ungarn von den EU-Bürokraten etliche Male geprüft und kritisiert, und die ungarische Regierung hat in den meisten Fällen versucht, mit der Kommission zu kooperieren; wenn [die Kritik] berechtigt war, hat sie Gesetze geändert oder zurückgezogen. ... Jourová ist aber jetzt ein anderer Fall. Sie ist in Tiefen gesunken, wo ein EU-Kommissionsmitglied nichts zu suchen hat. Jetzt schmäht sie nicht mehr die Regierung, sondern die Ungarn, in einer genauso verlogenen und dummen Art und Weise, wie es viele heimische linke Politiker und Pseudo-Experten in den vergangenen Jahren getan haben. Nach Jourovás Meinung sind die Ungarn Schafe, die nicht einmal dazu fähig sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. “
Das ist nun mal ihr Job
Gewisses Verständnis für die tschechische Kommissarin bringt Lidové noviny auf:
„Man kann alles Mögliche über den Fall denken. Etwa, dass Jourová mit ihren Worten übertrieben habe. Dass sie gegenüber Ungarn vorgefertigte Bezeichnungen nachgeplappert habe. Oder dass Ungarn übertrieben reagiert habe. Fakt aber bleibt, dass Jourová das Mandat eines Mitglieds der EU-Kommission übernommen hat. Damit verteidigt sie aus Prinzip weder tschechische Interessen, noch die der Visegrád-Staaten, sondern die Interessen der Europäischen Kommission. Dementsprechend sind von ihr keine Äußerungen gegenüber Ungarn oder Polen in einem anderen Geist zu erwarten.“
Wir spüren jeden Tag, wie krank Ungarn ist
Am heutigen Mittwoch stellt die EU-Kommission ihren aktuellen Bericht zum Zustand des Rechtsstaatlichkeit ihrer Mitglieder vor. Vor diesem Hintergrund will Orbán vor berechtigter Kritik ablenken, ist Népszava überzeugt:
„Der ungarische Regierungschef meint, Jourová habe die ungarischen Bürger beleidigt, dabei hat sie Ungarn nur eine kranke Demokratie genannt. ... Es gibt leider keinen Tag, an dem wir die Richtigkeit dieser Erklärung nicht erfahren. Offensichtlich ist auch das Timing dieses Wutausbruchs kein Zufall: Der [Protest-]Brief des Premiers kam kurz vor der Veröffentlichung von Brüssels Bericht zur Rechtsstaatlichkeit. Die Meinung der Kommission über die ungarische Demokratie dürfte verheerend sein. Deswegen will die Regierung Jourová als unglaubwürdig erscheinen lassen, noch bevor das Dokument publik wird.“