Brexit-Ärger: Jetzt auch noch ein Rechtsverfahren
Die EU hat rechtliche Schritte gegen Großbritannien angekündigt, nachdem London dem Ultimatum nicht nachgekommen war, sein umstrittenes Binnenmarktgesetz zurückzunehmen. Dieses würde einen zentralen Teil des bestehenden Austrittsvertrags mit Brüssel aushebeln. Europas Presse ist sich uneins, ob damit noch mehr Geschirr zerschlagen wurde oder die Sache nur ein Nebenschauplatz ist.
Eine reine Formalität
Das Verfahren war unausweichlich, entscheidend ist eine Einigung über die zentralen Streitpunkte, erörtert London-Korrespondent Luigi Ippolito in Corriere della Sera:
„Brüssel hatte London angewiesen, das Gesetz bis zum 30. September zurückzuziehen. Dies geschah nicht und daher begann das Gerichtsverfahren. ... Das war praktisch eine Pflicht. Jetzt geht es darum, die Konsequenzen für die laufenden Verhandlungen zu verstehen. ... Die zwei wesentlichen Streitpunkte sind Fischereirechte und staatliche Beihilfen, die die Briten der Kontrolle der europäischen Wettbewerbsbeschränkungen entziehen wollen, um nationale Spitzenreiter in der Hochtechnologie zu schaffen. ... Brüssel möchte London hingegen generell in einer Umlaufbahn europäischer Regularien halten, um unlauteren Wettbewerb zu verhindern, während die Briten sich nun als ein völlig souveränes Drittland betrachten. “
Wir lassen uns von Brüssel nicht einschüchtern
Die EU hat der britischen Regierung einen Gefallen getan, bedankt sich The Daily Telegraph:
„Nichts stärkt die Entschlossenheit der britischen Öffentlichkeit mehr als Belehrungen durch ungewählte Eurokraten. Die Perspektive, dass sich dieser Streit nun weiter verschärft und im November zu einem Patt auf höchster Ebene führen könnte, nützt der britischen Regierung im Kampf um die Gunst der britischen Öffentlichkeit. Dieser Fall zeigt wunderbar auf, warum der Brexit ein so wichtiger Schritt war: Es geht um nicht weniger als um die staatliche Unabhängigkeit. Die EU versucht, weiter die Kontrolle über einen integralen Bestandteil des Vereinigten Königreichs auszuüben, obwohl wir demokratisch entschieden haben, unsere Mitgliedschaft zu beenden.“
Johnson hat die Wahl
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die Hoffnung trotz allem noch nicht aufgegeben:
„Ja, die Schatten über den gegenwärtigen Gesprächen sind ... lang; noch länger hätten sie nicht werden müssen. ... Und dennoch ist das Ende (noch) nicht da. Es gibt Felder, auf denen beide Seiten Flexibilität zeigen können. Vor allem aber liegt es an der Regierung Johnson zu zeigen, was ihr wichtiger ist: der endgültige Bruch mit der EU, was unweigerlich der Wirtschaft des Landes weitere zusätzliche hohe Kosten – und zwar hohe Kosten – aufbürden würde, oder eine vernünftige wirtschaftliche und somit auch politische Partnerschaft, die auf Vertrauen und, eben, auf Vertragstreue aufbaut. Eine solche Partnerschaft wäre, da das Königreich nun mal ausgetreten ist, die beste Option für die Zukunft.“
Für Verhandlungen braucht es zwei
Ob die Doppelstrategie der EU - Druck und Verhandlung - aufgeht, steht für La Vanguardia noch in den Sternen:
„Der aktuelle Präzendenzfall lässt Zweifel aufkommen, ob sich Johnson an ein Handelsabkommen mit Brüssel halten würde, wenn es denn zustande käme. Das Problem ist eher politischer als rechtlicher Natur. London bleibt ein Monat zum Handeln und Brüssel glaubt, dass der Druck auf Johnson in diesen Wochen stärker wird, weil man weiter davon ausgeht, dass sich Großbritannien eine Nicht-Einigung nicht leisten kann. Deshalb setzt Brüssel trotz der eingelegten Rechtsmittel auf Pragmatismus und weitere Verhandlungen. Aber zwei können nicht verhandeln, wenn einer nicht will, und ob Johnson will, muss sich noch zeigen.“