Frankreich kämpft mit dem Terror
Mit einer emotionalen Zeremonie hat Frankreich am Samstag der Toten des Anschlags von Nizza gedacht. Premier Castex sagte dabei dem radikalen Islam erneut den Kampf an. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben auch eine Debatte über den französischen Laizismus neu entfacht.
Masken vorschreiben, aber Schleier verbieten?
Obwohl Religion in Frankreich offiziell Privatsache ist, greift der Staat stark in das Alltagsleben von Muslimen ein, kritisiert The Irish Times:
„Die politische Kultur des Landes legt enormen Wert auf das, was die Franzosen als Laizismus bezeichnen. Diese Doktrin schreibt vor, dass der Staat den theologischen und metaphysischen Überzeugungen seiner Bürger neutral gegenübersteht. ... Ungeachtet dessen glauben viele Muslime, dass die französische Gesellschaft ihre ethnische Herkunft oder ihren religiösen Glauben keineswegs als Privatangelegenheit akzeptiert. Und in einer Zeit, in der Gesichtsmasken Teil des Alltags geworden sind, ist es tatsächlich schwer zu verstehen, dass sich die Französische Republik noch vor wenigen Jahren bemühte, muslimische Frauen zu bestrafen, die in der Öffentlichkeit ihr Antlitz verhüllten oder in Ganzkörperkleidung badeten.“
Der Islam wird staatlich ausgegrenzt
Der französische Staat hat ein Problem mit dem Islam, schreibt der Soziologe Jean-François Bayart in Le Monde:
„Die Angst, der Ekel und die Wut [nach den beiden Terrorakten] bieten Ideologen, die ein Monopol auf die Definition der Republik beanspruchen, einen guten Nährboden. ... Tatsächlich aber liegt staatlich verankerte Islamophobie vor, wenn die Polizei eine eindeutig illegale, aber systematische Diskriminierung gegen einen Teil der Jugendlichen praktiziert, die ihrer mutmasslich muslimischen Herkunft zugeordnet werden. Dieser Staat ist nicht 'neutral den Religionen gegenüber'. ... In den letzten Jahrzehnten hat er Christen- und Judentum kontinuierlich aufgewertet, indem er ihnen gegenüber einen sogenannten 'positiven' Säkularismus entwickelt hat, während er den Islam politisch unterordnen will, um ihn unter dem Vorwand der Aufklärung zu kontrollieren.“
Laizismus darf nicht sakrosankt sein
Für den Deutschlandfunk werden nun auch die Schattenseiten des französischen Laizismus deutlich:
„Frankreichs Staat weiß nicht souverän mit Religion umzugehen. Sie wird als Privatsache geduldet und im öffentlichen Raum vor allem durch Verbote in Schach gehalten. Es könnte aber sein, dass staatlich gefördertes Nachdenken über Religion im öffentlichen Raum – etwa durch Religionsunterricht, Hochschultheologie, universitäre Imamausbildung – eine zähmende Wirkung ... hat und die liberalen Gläubigen ermutigt. Der Gedanke an eine solche punktuelle Kooperation ist ein Sakrileg in einem laizistischen Land, zudem wirkt Nachdenklichkeit lächerlich angesichts von Brutalität. Aber Aufklärung ist keine Epoche, die man hinter sich lässt, sie ist ein Prozess. Für alle.“
Macron sendet die richtigen Signale
Die Neue Zürcher Zeitung findet die Behauptung, Macron führe eine Hasskampagne gegen den Islam, absurd:
„Zwar ist nicht zu bestreiten, dass viele Muslime in Frankreich Diskriminierung erfahren. Oder dass auch Regierungsvertretern ... deplatzierte Äusserungen unterlaufen sind. ... Doch Macron hat wiederholt deutlich gemacht, dass er den Islam als Teil der französischen Gesellschaft sieht. Als er Anfang Oktober seine Strategie gegen einen 'islamistischen Separatismus' vorstellte, sprach er von der Wichtigkeit, diese gemeinsam mit Frankreichs Muslimen umzusetzen. Und er mahnte, man möge sich nicht in die Falle locken lassen, ... alle Anhänger des muslimischen Glaubens zu stigmatisieren. In Nizza hat er am Donnerstag an alle Franzosen einen Aufruf zur Einheit gerichtet, 'ganz gleich, welche ihre Religion ist'. Gerade in schweren Zeiten ... ist es wichtig, an diesem Kurs festzuhalten.“
Das Gift darf sich nicht weiter verbreiten
Als Reaktion auf das Attentat hat sich Frankreichs Außenminister Le Drian an die muslimische Welt gewandt und gesagt, ihre Kultur sei Teil Frankreichs und Europas. Die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts muss jetzt oberste Priorität haben, unterstreicht Libération:
„Die größte Gefahr wäre es, wenn sich Frankreich, wo eine große muslimische Gemeinschaft lebt, in Sachen Identität und Religion spaltet, denn dies würde den Extremen Tür und Tor öffnen. Und genau das wollen die Islamisten erreichen. Es wäre unverantwortlich, in einer instabilen Welt das Gift der Intoleranz und des Hasses sich verbreiten zu lassen. ... Jede Regierung, die dies zuließe, trüge eine ungeheure Verantwortung für die weiteren Ereignisse. Nach dem Attentat von Nizza haben die Vertreter der Kirche und der muslimischen Glaubensgemeinschaft im Übrigen nicht gezögert, zur Einheit aufzurufen.“
Macrons Mittelweg ist richtig
De Volkskrant verteidigt den französischen Präsidenten gegen Vorwürfe, er gehe zu pauschal gegen Muslime vor:
„Macron will Frankreich lebenswert für alle Bürger halten auf der Grundlage des Gesetzes. Das ist kein schlechter Ausgangspunkt. ... Wie jeder Anschlag droht nun auch dieser, die Polarisierung zu schüren. Davor muss sich die politische Mitte in Europa hüten. Aber sie darf die Augen nicht verschließen vor dem Aufkommen extremistischer Interpretationen des Islam, die den grundlegenden Freiheiten widersprechen. Darum ist Macrons Antwort so wichtig. Wenn seine Suche nach einem Mittelweg scheitert, steht Marine Le Pen mit radikaleren Lösungen bereit.“
Frankreich wird nicht in die Knie gehen
Was ihre Grundprinzipien angeht, geht die Grande Nation keine Kompromisse ein, ist sich Denik N sicher:
„Frankreich besteht auf seiner Identität, die auf Menschenrechten, Demokratie, Toleranz und Dialog beruht. Das Ziel des radikalen Islamismus ist klar und langfristig: Er will Frankreich und damit andere europäische Staaten aus der demokratischen Struktur herausbrechen. Will Frankreich dazu zwingen, aus Angst langsam Kompromisse bei seinen Grundwerten einzugehen. Die Islamisten vermuten, dass wenn Frankreich in die Knie geht, die Prinzipien, auf denen ganz Europa seit zwei Jahrhunderten aufgebaut ist, am Boden liegen werden. Doch Frankreich wird nicht in die Knie gehen.“
Integration muss Pflicht werden
Europas Gesellschaften müssen fordernder auf Migrantinnen und Migranten zugehen, fordert Webcafé:
„Das Problem ist der passive Integrationsansatz: die Erwartung, dass sich Menschen aus anderen Kulturen selbst an die Realität Europas anpassen. Wenn ein Land Integration will, muss es sich anstrengen, aber auch deutlich machen, dass diese Integration obligatorisch ist und kein Weg an ihr vorbeiführt. Erst dann können wir über die positiven Aspekte von Vielfalt und Diversität sprechen. Wenn wir die Dinge so lassen, wie sie jetzt sind, kann jede etwas umstrittene Karikatur zu einer Welle von Tod und Gewalt führen.“
Demokratie global verteidigen
Der Kampf gegen religiösen Extremismus kann nicht allein im Inland geführt werden, erinnert De Morgen:
„Europa darf nicht länger mit zweierlei Maß messen. Solange wir Waffen exportieren an autoritäre Regime, die Hassprediger tolerieren, wenn es ihren geopolitischen Interessen nützt, klingen unsere Plädoyers für einen europäischen, aufgeklärten Islam hohl. Man denke dabei außer an die Saudis auch an Malaysia und die Türkei von Erdoğan. Europa muss es wagen, seine demokratischen Freiheiten als Druckmittel im Außenhandel einzusetzen. Wir können das aber nur glaubwürdig tun, wenn wir unseren Rechtsstaat selbst mehr denn je umarmen. Nach einem Anschlag wie dem gestrigen kann unsere Antwort nur der Dialog zwischen den Bevölkerungs- und Glaubensgruppen sein, so dass niemand von außen Entfremdung und Spaltung ausnutzen kann.“