Satire und Respekt im Spannungsverhältnis
Seit dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Jahr 2015 starben allein in Frankreich mehr als 270 Menschen durch islamistischen Terror. Keine Religion entschuldigt Mord, stellen Kommentatoren klar. Aber ist die Meinungsfreiheit so heilig, dass sie jede Form der Gotteslästerung rechtfertigt?
Der Spott hat seine Grenzen
Auch bei der Meinungsfreiheit müssen wir die durch die Verantwortung auferlegten Grenzen lernen, fordert Philosophin Donatella di Cesare in La Stampa:
„Besteht Freiheit wirklich im Recht auf Gotteslästerung, in der Anmaßung, was anderen 'heilig' ist, zu beschimpfen, zu beleidigen und zu entheiligen? ... Gerade in diesem dunklen Zeitalter der Pandemie zeigt sich, wie leer die Idee der Freiheit eines sich für souverän haltenden Subjekts ist, ein in sich selbst verschlossenes Ego, das sich von jeder Verantwortung für andere freispricht. Die Freiheit der Verhöhnung erinnert an diejenigen, die ohne Maske herumlaufen. Nach jedem Anschlag wird die Alternative zwischen 'Säkularismus und Fanatismus' - zwischen Macron und Erdoğan - lauter hervorgehoben! Weder noch, muss es heißen!“
Mit religiöser Globalisierung leben lernen
Man darf die fortgeschrittene Säkularisierung in Frankreich nicht einfach so auch für alle anderen Länder, Kulturen und Religionen voraussetzen, erinnern die beiden früheren Leiter der politischen Zeitschrift Esprit, Olivier Mongin und Jean-Louis Schlegel, in Le Monde:
„Was für uns keine Blasphemie mehr ist, bleibt es bei anderen voll und ganz! … Die religiöse Globalisierung wurde nicht verstanden. Sie impliziert, dass die nicht vorhandene oder nur unvollständige Säkularisierung der einen mit der Säkularisierung der anderen frontal aufeinanderprallt, dass dieser Kontakt in Gewalt enden und ein Damoklesschwert über alle hängen kann - vor allem in Ländern, die die Trennung zwischen Religionen und Staat umgesetzt haben und die die Freiheiten aller, Gläubiger wie Nichtgläubiger, garantieren.“
Blasphemie muss gestattet sein
Rede- und Meinungsfreiheit haben Vorrang, ist hingegen The Economist überzeugt:
„Eine Religion ist im Grunde eine Reihe von Vorstellungen und Konzepten. Sie muss daher offen debattiert und sogar verspottet werden dürfen. Bedachtsame Redner werden stets versuchen, nicht grundlos zu beleidigen. Aber Regierungen sollten niemanden dazu zwingen, ja nie anzustoßen. Denn sonst müsste sich jeder selbst zensieren, aus Angst, die am schnellsten beleidigte Person im Publikum zu beleidigen. Und wie Samuel Paty herausfand, kann jeder mit einem Telefon irgendwo auf der Welt Teil dieses Publikums sein. Der französische Staat sollte niemals den Eindruck erwecken, dass er Blasphemie befürwortet. Doch es ist richtig, Gotteslästerer zu schützen, genauso wie es richtig ist, diejenigen zu schützen, die sich über Gotteslästerer beschweren - solange sie keine Gewalt befürworten.“
Keine Rückkehr zur Inquisition
Kein ernstzunehmender Glaube akzeptiert Mord als Strafe für Satire, schreibt Dnevnik:
„Diese Mörder sind keine 'Märtyrer des Glaubens', sondern Gewalttäter, die eine religiöse Flagge schwenken. ... Akzeptieren wir Mord als Bestrafung für Karikaturen, die von manchen als Sakrileg angesehen werden, kehren wir in das Zeitalter der Heiligen Inquisition zurück, zum Verbrennen von Hexen, Wissenschaftlern und verbotenen Büchern. ... Lassen Sie uns lieber den säkularen Staat als Eroberung der Moderne stärken und ihn davor schützen, sich der einen oder anderen religiösen Lehre unterwerfen zu müssen. Es muss klar sein, dass jede Religion, die zu Fanatismus führt, aufhört, eine Religion zu sein.“