Die Welt nach Trump
Joe Biden will gleich am ersten Tag in seinem neuen Amt als US-Präsident Entscheidungen von Trump per Dekret rückgängig machen. So will er nach Aussagen seines Stabschefs zum Pariser Klimaabkommen zurückkehren, minderjährige Migranten schützen und Maßnahmen im Gesundheitswesen erlassen. In Europas Medien steht die Frage im Zentrum, wohin sich die US-Außenpolitik entwickelt.
Das Prinzip bleibt gleich
Die Freude über Bidens Wahlsieg wird nicht von langer Dauer sein, meint der Politikwissenschaftler Frédéric Thomas in Le Soir:
„Die mediale Berichterstattung hat die Debatte auf Fragen der Person fokussiert, gar der Persönlichkeit, und ließ wenig Raum für eine kritische Analyse struktureller Trends der nordamerikanischen Politik. Da die Hoffnungen auf einen Kurswechsel unverhältnismäßig hoch sind, dürften sie umso schneller enttäuscht werden, angesichts der gleichbleibenden Strategie des Weißen Hauses. ... Was Biden von Trump unterscheidet ist letztlich weniger eine Frage des Prinzips - die Gewährleistung von Washingtons Vorrang auf der internationalen Bühne - als vielmehr eine Frage der Methode: Er setzt auf Freihandel statt (relativen) Isolationismus.“
Den eigenen Abrüstungsvertrag retten
Die Trump-Administration hat wichtige Rüstungskontrollverträge mit Russland aufgekündigt. Biden hat nun die Chance, das Ruder herumzureißen, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post:
„Der 2010 von Obama und Medwedew geschlossene New-Start-Vertrag ist das einzige Abkommen von Bedeutung, das übrig geblieben ist - und auch das läuft zwei Wochen nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten aus. ... Biden und sein Team bekommen die Chance, ein Dokument zu retten, das unterschrieben wurde, als Biden selbst Vizepräsident war. So ein Schritt wäre ein guter Start in eine neue Etappe der Beziehungen zwischen den USA und Russland. Zwar sehen Experten tiefe Skepsis bei Biden und seinen Mitstreitern gegenüber der russischen Führung - aber in diesem Fall würde der Präsident ja seine eigene Politik fortsetzen.“
Türkische Opposition im Glück
Joe Biden hatte in einem Interview im Dezember 2019 gesagt, es sei notwendig, die türkische Opposition zu unterstützen, damit diese Erdoğan besiegen könne. Nun wittert diese Morgenluft, meint Sabah:
„In der freudigen Erwartung, mithilfe der transatlantischen Unterstützung an die Macht zu kommen, treten sie jetzt nacheinander vor. PKK und HDP verbergen nicht ihre Hoffnung, dass ihre frühere Zusammenarbeit mit dem Pentagon auf dem Spielfeld in Nordsyrien wieder aufgenommen wird. Sie wissen, dass sie irgendwann wieder für irgendwelche Bündnisse in den Städten gebraucht werden, wie bereits bei der Kommunalwahl in Istanbul. Und Kemal Kılıçdaroğlu war als Anführer der größten Oppositionspartei [CHP] auch schneller als alle anderen. Er hat Biden noch vor den Vertretern der Staatsführung der Türkischen Republik gratuliert.“
Die USA sind nun wirklich kein Vorbild mehr
Nach dem Debakel mit der Wahl sollten die USA die Rolle des demokratischen Schiedsrichters endgültig abgeben, findet Večernji list:
„Selbst Alexander Lukaschenka, vom Westen als 'letzter europäischer Diktator' bezeichnet, macht sich über die US-Wahl lustig. ... Amerika wird niemandem in der Welt mehr Lektionen über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erteilen können. Damit ist eine historische Ära vorüber, in der die USA die Rolle des führenden demokratischen Hegemons der Welt gespielt haben. ... Die Amerikaner haben sich als 'Leuchtturm' der Demokratie bezeichnet und als Schiedsrichter, der das Recht hat, zu entscheiden, welche Länder demokratisch sind. Und manchmal haben sie ihre Demokratie mit Hilfe von Waffen und Krieg exportiert, was oft zu einem katastrophalen Ende geführt hat.“