Orbán droht mit EVP-Austritt
Ungarns Premier Orbán hat den Austritt der Abgeordneten seiner Fidesz-Partei aus der EVP-Fraktion im Europaparlament angekündigt, falls diese einer am Freitag von der Fraktionsspitze vorgeschlagenen Geschäftsordnungsänderung zustimme. Die Änderung würde ihrerseits die bisher nicht realisierbare Suspendierung der Fidesz-Abgeordneten ermöglichen. Wer setzt hier wen unter Druck, und wer hat recht?
Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen
Das Verhalten der Volkspartei empört Magyar Hírlap:
„Das Instrument der Suspendierung, zu dem die EVP greift, ist der x-te Ausdruck davon, dass die Partei der agressiven Liberalen hörig und entscheidungsunfähig geworden ist. Das vergiftet die Partei. Außerdem ist dieses Verhalten hinterlistig: Die EVP vermeidet die Konfrontation und den möglichen Bruch, die aus einem Ausschluss folgen würden. ... Stattdessen entzieht sie den Fidesz-Abgeordneten, die ihr Mandat demokratisch von zwei Millionen Ungarn erhalten haben, ihre Rechte. ... Gleichzeitig will sie sie aber weiterhin in der EVP halten, damit diese keine Nachteile durch den Verlust von Mandaten erfährt. Das ist eine Schande.“
Nachvollziehbare Erpressung
Orbán übernimmt einmal mehr das Heft des Handelns, kommentiert die Süddeutsche Zeitung:
„[Er] zwingt die EVP zu einer Entscheidung, die sonst womöglich weiter hinausgeschoben worden wäre. Das ist eine Form der Erpressung, die man von ihm kennt, die aber in diesem Fall sogar nachvollziehbar ist. Theoretisch könnte jede Gruppe mit der geänderten Geschäftsordnung ausgeschlossen werden, und dennoch ist sie natürlich erst einmal eine Lex Fidesz. Jetzt muss die EVP endlich Farbe bekennen.“
Eine Ohrfeige für Fidesz
Eine schnelle Trennung wäre für die EVP eine Erleichterung, für Fidesz hingegen eine folgenschwere Niederlage, meint Népszava:
„[Der Austritt würde bedeuten, dass] Fidesz sich von den für sie so wichtigen deutschen Unionsparteien noch weiter entfernt und damit auch den Rest ihres Einflusses verliert. Fidesz könnte zwar ein neues Bündnis mit euroskeptischen Kräften aufbauen, jedoch ist nicht zuletzt die derzeitige europäische geopolitische Lage ungünstig dafür. Fidesz erleidet gerade zweifellos eine der größten Watschen seit ihrer Entstehung.“
EVP nicht mehr konservativ genug
24 Chasa sieht gute Gründe für Orbáns Vorhaben:
„Die EVP ist nicht mehr das, was sie mal war. Es ist nicht mehr die Partei des großen Vereinigers Helmut Kohl, von Jacques Chirac, José Maria Aznar und Edmund Stoiber. Es ist nicht mehr die EVP, die, angeführt von [Belgiens Ex-Premier] Martens und Orbán als seinem Stellvertreter, 270 EU-Abgeordnete und 16 Ministerpräsidenten hatte. Heute sind es unter dem Liberalen Donald Tusk und dem Brüssel-Bayern [Manfred] Weber 100 Abgeordnete und 10 Ministerpräsidenten weniger. … Was ist das für eine EVP, in der portugiesische Sozialdemokraten die gleichgeschlechtliche Ehe erlauben, Merkel sich damit brüstet, dass der Islam zu Deutschland gehöre und Sebastian Kurz mit den Grünen gemeinsame Sache macht?“