Happy Birthday! Gorbatschow feiert 90. Geburtstag
Nur sechs Jahre war Michail Gorbatschow, der letzte Staatschef der UdSSR, im Amt. Sechs Jahre, in denen er bedeutende Veränderungen anstieß, die innenpolitisch unter den Begriffen Glasnost und Perestroika zusammengefasst werden und außenpolitisch zur Entspannung und Annäherung zwischen Ost und West führten. Zu Gorbatschows 90. Geburtstag ziehen Kommentatoren Bilanz.
Warum dankbar sein?
Der Kolumnist Witalij Portnikow sieht das Lebenswerk des Jubilars in lb.ua kritisch:
„Wenn die Republik nicht versteht, muss man eben mit Gewalt vorgehen [dachte Gorbatschow]. Und er hat mehr als einmal auch so gehandelt: in Tiflis, in Baku und in Vilnius. An Wirtschaftsreformen erinnere ich mich nicht mehr, dafür kam er ohnehin hoffnungslos zu spät. ... In den Enzyklopädien der westlichen Welt wird man ihm immer viele Seiten und dankbare Zeilen widmen. Aber in unseren Enzyklopädien wird es immer einen Groll geben, und zwar deswegen, weil er im entscheidenden Moment der ukrainischen Geschichte auf der Seite der Feinde unseres Landes gestanden hat. Ein Imperator ist immer ein Imperator. Auch ein ehemaliger, und auch der letzte.“
Der Mann, der seine Macht nicht missbraucht hat
An Michail Gorbatschow schätzt Viktor Mironenko, der für die Gorbatschow-Stiftung arbeitet, besonders das, was dieser nicht gemacht hat:
„Gorbatschow sollte man nicht nur oder nicht so sehr nach dem beurteilen, was er getan hat. Die Frist, die ihm zuteil war, war im Vergleich zum Umfang der Aufgaben, die vor ihm und uns standen, sehr sehr kurz. Und so muss man ihn auch, oder vielleicht sogar in erster Linie nach dem beurteilen, was er nicht getan hat, obwohl er enorme Macht und Möglichkeiten hatte. Er wurde kein 'Zar' und kein reicher Mann, er hat sich nicht an die Macht geklammert, hat sich keine Paläste gebaut, Kindern und Enkeln keine Pfründe zugeschanzt. … Er ist ein Mensch geblieben.“
Der konservative Widerstand war stärker
Miha Lampreht, ehemaliger Russland-Korrespondent von RTV Slovenija, blickt auf das Lebenswerk des letzten Staatschefs der UdSSR:
„Gorbatschow veränderte gemeinsam mit seinen engen Mitarbeitern Jakowlew, Medwedew und Schewardnadse die Welt. Er blieb ein Romantiker des Sozialismus, doch griff er selbst nie auf rohe Gewalt zurück. In diesem Sinne bleibt er ein großer Staatsmann, der den Reformprozess eingeleitet hat, doch aufgrund des konservativen Widerstands, wegen objektiver Umstände oder aufgrund von Unentschlossenheit konnte er diesem Weg nicht weiter folgen. Dafür gab er aber den Anstoß für umfangreiche Veränderungen. Gorbatschow ist im Ausland beliebter als in seiner Heimat.“
Ein romantischer Humanist
Welches Bild von Gorbatschow letztlich bleiben wird, beschreibt der Schriftsteller Vasile Ernu in Libertatea:
„Es gibt zwei große Mythen. Der erste ist die negative Erzählung von 'Gorbaci', dem verräterischen Zaren, der ein Imperium auflöste und verriet. Dann gibt es noch die positive Variante: 'Gorbi' die Friedenstaube, der große Staatsmann, der dem Volk Freiheit und Frieden brachte. Er hat sich der Auflösung der UdSSR schuldig gemacht, doch man freut sich, dass es friedlich blieb. … Gorbatschow bleibt ein Romantiker, ein Mann des Friedens, der immer noch an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz glaubt und dass die Welt sich verstehen, miteinander verhandeln und gewalttätige Konflikte umgehen kann. Gorbi bleibt schlussendlich ein typisch romantischer Humanist.“