London wendet sich Asien zu – und von Europa ab?
Großbritannien richtet nach dem Brexit seine Außen- und Verteidigungspolitik neu aus. Premier Johnson stellte die Strategie, die den Namen Global Britain trägt, am Dienstag im Unterhaus vor. Demnach setzt das Königreich wegen neuer Bedrohungen auf mehr Atomwaffen und will seinen Einfluss im indopazifischen Raum ausbauen, der zum "geopolitischen und ökonomischen Gravitätszentrum" der Welt geworden sei.
Ein Loch im Herzen der Strategie
Dass die EU in der neuen außenpolitischen Strategie kaum eine Rolle spielt, missfällt Financial Times:
„Die meisten Bedrohungen, denen sich Großbritannien gegenüber sieht - Russland, islamistischer oder rechtsextremer Terrorismus, unkontrollierte Migration, Cyberangriffe des Iran oder Nordkoreas -, teilt das Land mit seinen europäischen Nachbarn. ... Der Schwerpunkt auf die indopazifische Region verdeckt ein beträchtliches Loch im Herzen des Strategiedokuments. Es fehlt jegliche Vision für die Zusammenarbeit mit dem wichtigsten Partner für die Sicherheit Großbritanniens: Europa und insbesondere die EU. Der Brexit schafft Möglichkeiten für eigenständige Politik und Maßnahmen, doch er sollte nicht bedeuten, die EU zu bekämpfen oder zu umgehen.“
Großbritannien will weltwirtschaftlich mitmischen
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist es keine Überraschung, dass London sein außenpolitisches Augenmerk stärker auf die indopazifische Region richten will:
„Dort spielt, zu einem Gutteil, weltwirtschaftlich die Musik – London will nicht nur Zuhörer sein –, und dort wird der Systemkonflikt zwischen autoritären Regimen und Demokratien, zwischen Staatskapitalismus und Marktwirtschaft ausgetragen. Doch wird sich zeigen, wie weit die britische Regierung kommt, ohne in feste Kooperationen eingebunden zu sein.“
Der alte Traum von der Splendid Isolation
VTimes sieht in der neuen Strategie den Nachklang früherer Großmacht-Ideen:
„Die imperiale Vergangenheit erweist sich als Endlos-Ressource der britischen Politik. Auch wenn Ex-Premier Major verkündete, dass Britannien nie mehr Großmacht sein wird, bleibt die geopolitische Vorstellung der Tories im Schema von Metropole und Kolonien gefangen. Der Brexit gilt als Resultat eines Unabhängigkeitskampfes vom Soft-Imperium EU und das Konzept 'Global Britain' als die darauf folgende Reinkarnation der Politik der 'Splendid Isolation', die das britische Empire zu Ende des 19. Jh. verfolgte. Dabei war dies eine Isolation nur dem Namen nach, faktisch beteiligten sich die Briten aktiv an europäischen und globalen Angelegenheiten - jedoch ohne langfristige Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten.“