Nahost: Die Waffen ruhen - und nun?
US-Außenminister Blinken ist am Dienstag nach Jerusalem und Ramallah gereist, um mit israelischen und palästinensischen Vertretern zu sprechen. Die US-Regierung will sich für den Wiederaufbau in Gaza engagieren und dafür Gelder an der Hamas vorbeilenken. Derzeit hält die zwischen Israel und der Hamas ausgehandelte Waffenruhe, doch Kommentatoren bezweifeln, dass sich stabiler Frieden finden lässt.
Niemand will das Grundproblem angehen
Zu einer wirklichen Lösung wird es nicht kommen, glaubt Revista 22:
„Der Konflikt hat uns auch das mangelnde internationale Interesse für die israelisch-palästinensische Frage offenbart. Wenn wir auf die Karte schauen, dann sehen wir, dass eine Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr möglich ist. Das ist auch der Grund, warum die großen Mächte, allen voran die USA, sich nur darauf konzentrieren, die Feindseligkeiten zu stoppen, ohne den Willen, das Grundproblem anzugehen. Biden kennt noch sehr wohl die Hindernisse, auf die einst Barack Obama gestoßen ist und er will, da er wahrscheinlich nur eine Amtszeit vor sich hat, keinen ergebnislosen Prozess angehen.“
Alle drängen in den Gazastreifen
Zu der Waffenruhe hat Ägypten maßgeblich beigetragen, zumal Kairo enge Beziehungen sowohl zu Israel als auch zur Hamas hat. Nun schickt Staatschef al-Sisi auch Hilfskonvois in den Gazastreifen. Uneigennützig ist das wohl kaum, glaubt La Repubblica:
„Alle drängen in den Gazastreifen. Jeder will dort eine Rolle spielen. … Die letzten, die herbeieilen, sind die Ägypter: Sie haben 500 Lastwagen mit Hilfsgütern geschickt, sie verteilen Pakete mit Nudeln und Reis. Auf der Karawane von Autos und Lastwagen weht die ägyptische Flagge und das Foto al-Sisis, dem großen Vermittler. Nur die Bewohner selbst zeigen wenig Begeisterung. Die Bürger des Streifens wollen nicht einmal mehr bleiben. Sie wollen weg. Diejenigen, die schlussendlich begriffen haben, in was für eine Falle sie geraten sind, wollen aus Gaza, vor der Hamas, vor Israel und vor dem Krieg fliehen.“
Kompromiss bleibt ein Wunschtraum
Diena hält die Probleme in Nahost grundsätzlich für unlösbar:
„Dass nur die richtigen Kompromisse gefunden werden müssen und dann das freundschaftliche Zusammenleben zwischen zwei Länden und Völkern möglich ist, klingt natürlich gut. Doch diese Behauptung taugt nur für das Papier. Und solange nicht die vielen Ursachen des Problems untersucht werden. Im wirklichen Leben ist dies eine nicht realisierbare Utopie, die auf unüberwindbare Hindernisse stößt: Der israelische Staat muss die Sicherheit seiner Bürger garantieren und sie nicht nur vor der radikal islamistischen und offen terroristischen Bewegung Hamas schützen, sondern auch vor einer Reihe muslimischer Staaten, die Israels Existenzberechtigung im Allgemeinen anzweifeln.“
Ohne Perspektive für Gaza kommt es wieder zu Gewalt
Für die Frankfurter Rundschau deutet vieles darauf hin, dass mit dem Waffenstillstand lediglich alles auf Anfang zurückgestellt wird:
„[O]hne eine Zukunftsperspektive für die in Gaza eingesperrten 2,2 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, wo es ein Arbeitslosenheer gibt, aber nicht mal genug sauberes Trinkwasser, ist ein weiterer Gewaltausbruch früher oder später programmiert. Die Schlagkraft der Hamas mag enorm geschwächt sein, das Reservoir an arbeitslosen jungen Männern, die sich oft gegen Bezahlung von ihr rekrutieren lassen, ist es nicht. ... [A]us früheren Gaza-Kriegen [weiß man]: Grundsätzlich verbessert hat sich danach nichts. ... Hamas und Netanjahu konnten sich damit ganz gut arrangieren.“
Aufweichung roter Linien kaum denkbar
Wenig Hoffnung auf ein positives Ergebnis von Verhandlungen hat La Repubblica:
„Die entscheidenden Punkte des Abkommens würden Jerusalem betreffen, eine Art 'rote Linie' für beide Seiten. Die Hamas möchte die Frage von Sheikh Jarrah klären - dem östlichen Stadtteil, in dem sich die umstrittenen Häuser befinden, die am Ursprung der aktuellen Krise stehen. Zudem den Status der Al-Aqsa-Moschee, des drittwichtigsten heiligen Orts des Islam. Weiter möchte sie eine finanzielle Beteiligung Israels am Wiederaufbau des Gazastreifens, dessen Kosten auf etwa 320 Millionen Dollar geschätzt werden. Aber Israel hat nicht die Absicht, die Parameter zu ändern, nach denen es bisher mit der Hamas umgegangen ist, beziehungsweise sie über den Gazastreifen hinaus auszudehnen.“
Israel fehlt eine langfristige Strategie
Was einen Friedensplan mit den Palästinensern in Israels Politik verhindert, erklärt Der Standard:
„[D]as Land ist gespalten. Eine große Mehrheit möchte nur in Sicherheit leben; dafür wäre sie bereit, einen Großteil der besetzten Gebiete aufzugeben. Für eine einflussreiche Minderheit aber ist der Friede weniger wichtig als die Herrschaft über das Westjordanland, das biblische Judäa und Samaria. Sie will keinen Verhandlungsprozess, der in einen Palästinenserstaat münden könnte. … Das Westjordanland besetzen, Gaza isolieren und die Hamas alle paar Jahre bekämpfen: Das ist der einzige Konsens in Israels Politik. Im jüngsten Wahlkampf kam der Konflikt mit den Palästinensern gar nicht mehr vor. Ein starkes Friedenslager, das bereit wäre, für eine Lösung zu kämpfen, ist nicht in Sicht.“