Schweiz erteilt Rahmenabkommen mit EU Absage
Nach sieben Jahren Verhandlungen hat die Schweiz einen geplanten Rahmenvertrag mit der EU platzen lassen. Es habe keine Einigung über entscheidende Punkte gegeben, sagte Bundespräsident Guy Parmelin. Strittig waren vor allem Fragen des Lohn- und Arbeiternehmerschutzes sowie der Personenfreizügigkeit. Während einige Kommentatoren den Abbruch begrüßen, warnen andere vor Konsequenzen.
Lieber kein Deal als ein schlechter
Die Entscheidung war ebenso unvermeidlich wie richtig, applaudiert Corriere del Ticino:
„Das Rahmenabkommen war schon seit langem klinisch tot. Die Voraussetzungen für den Erfolg waren nie gegeben. Die Frage war nur, wer die Entscheidung fällen sollte: der Bundesrat, das Parlament oder das Volk. Das Projekt wurde nun in der ersten Phase gekippt, und das ist gut so. Ohne Drama. Besser kein Abkommen als ein schlechtes. Wir setzen den Weg der bilateralen Absprachen fort, offen für den EU-Markt. Vermutlich werden wir dafür zahlen müssen, weder Repressalien noch versäumte Chancen sind auszuschließen. Aber wir starten von einer wirtschaftlich und sozial soliden Basis ausgehend. Und vor allem liegt die volle Entscheidungsfreiheit, was wir zu Hause machen, bei uns.“
Endgültig den Launen Brüssels ausgeliefert
Mit dem Abbruch legt die Schweiz ihr Schicksal in die Hände ihres größten Handelspartners, kritisiert hingegen die Luzerner Zeitung:
„Faktisch war die Abhängigkeit der Schweiz von der EU nie grösser. … Brüssel hat dem kleinen Partner einen anständigen Mechanismus angeboten, wie man politische Differenzen künftig hätte regeln können. Die Schweiz hätte dabei stets die Möglichkeit gehabt, Entwicklungen auch nicht mitzumachen. ... Nun aber ist die vermeintlich so unabhängige und souveräne Schweiz vollständig den Launen der EU ausgeliefert.“
Kompromiss dringend nötig
Das Scheitern ist auch Ausdruck des Zeitgeistes, betont der ehemalige britische Europaminister und Schweizkenner Denis MacShane in L'Opinion:
„Die Jahrzehnte des Weltwirtschaftsforums in Davos mit ultraliberaler Wirtschaftsideologie - der Doktrin des 'Bereichert euch' - gehen zu Ende. Präsident Biden, die Regierenden der EU und sogar Boris Johnson treten in ein neues, sozialeres und umweltschonenderes Zeitalter der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Für die Puristen des europäischen Wirtschaftsliberalismus verstößt die Schweiz gegen die Regeln und muss zurechtgewiesen werden. Das letzte Mal, als ein österreichischer Gesandter dies versucht hat, hat ihm ein gewisser Wilhelm Tell geantwortet. Die EU und die Schweiz müssen einen Kompromiss finden, bevor es zu spät ist.“
Nur Vorteile ohne Zugeständnisse geht nicht
Die Schweizer müssen nun bereit sein, die Konsequenzen aus der Entscheidung tragen, meint die Bern-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Isabel Pfaff:
„Wer beim Projekt EU und ihrem Binnenmarkt mitmachen will, muss ein Stück Autonomie aufgeben und die Spielregeln akzeptieren. Wenn das für die Schweiz nicht möglich ist, gibt es andere Möglichkeiten der Kooperation. Aber maximale Vorteile bei minimalen Einbußen an Souveränität: Das ist kein fairer Deal.“
Die EU wird zum Tyrannen
Der geplatzte Deal zeigt, dass der Brexit für Großbritannien die richtige Entscheidung war, findet Daily Telegraph:
„Handelsvereinbarungen, die die EU vor 20, 30, 40 Jahren noch für vollkommen akzeptabel hielt, sind es jetzt anscheinend nicht mehr. Die EU will ganz schlicht keinen Freihandel mehr. Sie will sich stattdessen in immer mehr Aspekte des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ihrer Nachbarn hineindrängen. Entweder ist man EU-Mitglied oder die EU versucht alles, um einen dazu zu zwingen, de facto ein Mitglied zu werden. ... In den kommenden Jahren wird ein agiles und weniger forderndes Großbritannien wesentlich erfolgreicher mit dem Rest der Welt handeln können, als die EU. Mit ihrem wachsenden Protektionismus und ihrer Arroganz riskiert sie einen Rückschritt.“