Namibia: Entzieht sich Berlin der Verantwortung?
Deutschland hat anerkannt, dass es sich bei der massenhaften Vernichtung der Herero und Nama ab 1904 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika um Völkermord handelte. Namibia soll deshalb von Berlin 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren erhalten, allerdings nicht als Entschädigungszahlungen, sondern in Form von Entwicklungshilfe für Infrastruktur und Bildung.
Koloniale Beziehungsmuster bleiben bestehen
Dass Deutschland keine Entschädigungen für die Opfer des Genozids zahlen will, sondern nur Entwicklungshilfe leisten, empört New Era:
„In der Kolonialzeit galten Afrikaner als 'Barbaren', denen die Fähigkeiten zu wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen fehlte, was den Eingriff der Kolonialmächte rechtfertigen sollte. Diese Sichtweise definierte, wie der Westen Afrika früher wahrnahm und sie hallt bis heute nach. Entwicklungshilfe kann mitunter diese bevormundende Haltung annehmen und so eine ungleiche Beziehung aufrechterhalten. Wenn sie als Alternative zu Entschädigungen mit weniger rechtlichen Konsequenzen verstanden wird, dann wird ein Beziehungsverhältnis nicht in Frage gestellt, das den Genozid überhaupt erst ermöglichte.“
Entwicklungshilfe ist ein Trick
Auch Gazeta Wyborcza sieht das Zahlungsmodell kritisch:
„Die Entwicklungshilfe wird die namibische Regierung erhalten, die vor allem die Mehrheit der Owambo repräsentiert und nicht die Herero und Nama. … Die deutsche Regierung will dadurch sich und andere vor weiteren Forderungen bewahren. Wenn sie das Recht der Herero und Nama auf Entschädigung anerkannt hätte, wäre es schwerer, ähnliche Forderungen aus Warschau nach Entschädigungen für Verbrechen im Voraus abzulehnen.“
Auftakt für breiteres Verständnis
Die Einigung ist ein wichtiger Schritt zur Bewältigung der Vergangenheit, meint NRC Handelsblad:
„Nur die kollektive Einsicht über den Umfang, Ernst und die historische Bedeutung von dem, was der 'erste Genozid des 20. Jahrhunderts' genannt wird, kann künftigen Generationen in Namibia und Deutschland dabei helfen, mit der geteilten Vergangenheit ins Reine zu kommen. Vor allem in Deutschland selbst gab es durch die bleierne Last des Zweiten Weltkrieges wenig Aufmerksamkeit für Verbrechen aus anderen Zeiten. Hoffentlich führen die Vereinbarungen mit Namibia zu einem breiten Wissen über die oft relativierte koloniale Rolle. Was damals im kaiserlichen Deutsch-Südwestafrika geschah, war nach Ansicht deutscher Historiker ein Vorbote der Nazizeit.“
Versöhnung ja, Rechtsanspruch nein
Auch wenn die Verbrechen schonungslos beim Namen genannt werden müssen, darf der historische Kontext nicht ausgeblendet werden, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Die Nachfahren von Tätern und Opfern sind nicht ebenso Täter und Opfer. Aber als Staat muss Deutschland für sein historisches Unrecht Verantwortung übernehmen. Die Bundesregierung tut gut daran, umfangreich Hilfe zu leisten, am besten an jene, die es wirklich nötig haben, aber zugleich keinen Rechtsanspruch auf (weitere) Zahlungen anzuerkennen. Denn es geht um Versöhnung.“
Und was ist mit den Nachbarn?
Das Onlineportal wPolityce.pl sieht in den Zugeständnissen Deutschlands eine neue Offenheit für Reparationszahlungen an Polen:
„Wenn man Zahlungen an die namibische Regierung ausstellt, wird es schwierig, eine ablehnende Haltung gegen die Ansprüche seines direkten Nachbarn aufrecht zu erhalten. Zumal die Polen erst vor 75 bis 80 Jahren ermordet wurden. ... Es liegt im deutschen Interesse, die Frage der polnischen Ansprüche zu klären. Es ist unmöglich, so zu tun, als sei in unseren Beziehungen alles in Ordnung, wenn eine Seite in einer so grundlegenden Frage zu Tricks und Ausflüchten greift.“