Das Mladić-Urteil und die Bilanz von Den Haag
Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am Dienstag die lebenslange Haftstrafe gegen den früheren bosnisch-serbischen Militärchef Ratko Mladić auch in letzter Instanz bestätigt. Mladić, unter dessen Führung die UN-Schutzzone um Srebrenica eingenommen wurde und der als Hauptverantwortlicher des dortigen Massakers gilt, wird damit rechtskräftig wegen Völkermord und zehn weiteren Verbrechen während der Jugoslawienkriege verurteilt. Europas Presse zieht Bilanz, auch über das nun definitiv geschlossene Haager Tribunal insgesamt.
Die Gerechtigkeit hat gesiegt
Für Večer war das Urteil die einzig richtige Entscheidung:
„Es konnte und durfte nicht anders kommen. Die lebenslange Haftstrafe für den bosnisch-serbischen Militärkommandanten General Ratko Mladić wurde auch vom Berufungsgericht in Den Haag als höchstmögliche Strafe bestätigt. Die Gerechtigkeit hat gesiegt, wie auch schon bei der gleichen Verurteilung des politischen Führers der Serben in Bosnien und Herzegowina, Radovan Karadžić, und anderer, die die größte Schuld am schlimmsten Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs tragen. Die Überlebenden haben durch die Verurteilung zumindest ein wenig Genugtuung bekommen, wenn ihnen auch kein Gericht ihre Liebsten zurückgeben kann.“
Verbrechen zahlen sich aus
Das Urteil gegen Mladić kommt zu spät, schimpft Večernji list:
„Die Bestätigung der lebenslänglichen Haft sorgt bei den Verwandten der Opfer, die seine brutale Armee in den 1990ern erst in Kroatien und dann in Bosnien und Herzegowina getötet hat, nicht mehr für Genugtuung. Für sie bleibt nur Enttäuschung, da die Den Haager Richter in diesem Fall ihre elementare Aufgabe und ihren Daseinszweck nicht erfüllt haben - dass Gerechtigkeit schnell gesprochen wird und wie in Nürnberg demonstriert wird, dass sich Verbrechen nicht auszahlen. Mladić war wahrscheinlich schon vor dem Krieg und Zerfall Jugoslawiens ein Fall für die Psychiatrie, und dieses 'Talent' für Grausamkeit und skrupelloses Morden hat er während des Krieges nur noch 'perfektioniert'.“
Terror und Vertreibung gehen weiter
Das Urteil ist kein Beleg dafür, dass die internationale Justiz funktioniert, meint Der Tagesspiegel:
„Es ist ein öffentliches Geheimnis, dass die Weltgemeinschaft dabei zusieht, wie Kriege, Terror und Vertreibung weitergehen, in Syrien, Libyen, im Yemen, in der Ukraine, in Belarus, in Myanmar oder südlich der Sahara durch islamistische Milizen. Aber mehr und mehr herrscht die Auffassung, dass 'die dort' selber zusehen sollen, wie sie ihre Konflikte lösen und Taten ahnden ... In linken Diskursen ist bisweilen von 'Menschenrechtsimperialismus' die Rede, der Universalismus der Menschenrechte ist unter Verdacht wie die internationale Justiz. In realpolitischen Diskursen spielen Menschenrechte ohnehin eine Nebenrolle. Solange solche Verirrungen hingenommen werden, bleibt das Vetorecht der Mächtigen unangetastet.“
Eine Hoffnung auch für die Zukunft
Hospodářské noviny blickt über den Fall Mladić hinaus:
„Erst das Ende des Kalten Krieges und der öffentliche Druck, der sich durch die Bilder der Massengewalt im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda aufbaute, führten zur Einrichtung internationaler [Kriegsverbrecher-]Tribunale. Dort wurden schwere Verbrechen in Ländern verfolgt und bestraft, deren Regierungen das verhinderten oder wo es die dortigen Bedingungen nicht erlaubten. Das Urteil über Ratko Mladić macht Hoffnung, dass auch künftig schwere Verbrechen geahndet werden. Auch wenn die Aussichten nun mehr als ungewiss erscheinen mögen, wie derzeit in Syrien, das im UN-Sicherheitsrat von Moskau geschützt wird, oder in Myanmar, dessen Militärführung von Peking verteidigt wird.“
Versöhnung bleibt weit weg
Das Tribunal ist juristisch eine Erfolgsgeschichte, wird aber nicht von allen akzeptiert, stellt NRC Handelsblad fest:
„Juristen loben das Tribunal. ... Es wurden neue Normen im internationalen Strafrecht aufgestellt. Urteile zu Völkermord und Vergewaltigung haben Auswirkungen auf andere Kriegstribunale und in nationalen Gerichten. Aber nicht alles ist gelungen. .... Das Tribunal hat wichtige Rechtsprechung und Geschichtsschreibung gebracht. Aber es führte nicht zur Versöhnung. Die Urteile werden in Serbien und Kroatien kaum anerkannt, die Animosität zwischen den Bevölkerungsgruppen ist nicht verschwunden. Und Kriegsverbrecher, die nach Verbüßen ihrer Strafe nach Hause zurückkehren, werden von ihrer Familie und nationalistischen Politikern wie Helden empfangen.“